Caritas: Wahlkampf gegen Armut und Ausgrenzung
Veranstaltung der Caritas in NRW zur Landtagswahl 2017 "Über die Wupper gehen?"Harald Westbeld
"Setzen Sie sich ein für eine gerechte und solidarische Gesellschaft!" Mit diesem nachdrücklichen Appell wandte sich der Sprecher der nordrhein-westfälischen Diözesan-Caritasverbände, der Münsteraner Diözesan-Caritasdirektor Heinz-Josef Kessmann an Politikerinnen und Politiker aus allen Landtagsparteien. Bei einer Veranstaltung zur Landtagswahl in Haus Müngsten an der Wupper forderte die Caritas in NRW mehr politische Anstrengungen gegen Armut und Ausgrenzung gefordert. Eine solche Politik sei die beste und zuverlässigste Basis für gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit für ein offenes, plurales und demokratisches NRW, sagte Kessmann. "Orientieren Sie Ihre Politik im Wahlkampf und natürlich auch danach an diesen grundlegenden Werten eines sozialen NRW", schrieb er den zahlreich erschienenen Abgeordneten und Kandidaten ins Stammbuch. "Die Caritas ist keine Partei und wirbt im Wahlkampf nicht um Stimmen", betonte Kessmann, aber die Caritas wolle Politikerinnen und Politikern diese Kernbotschaft mitgeben.
Als örtlicher Gastgeber begrüßte Christoph Humburg, Vorstandvorsitzender des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen die Gäste und zeigten drei kurzen Schlaglichtern auf, welche Folgen landesgesetzliche Entscheidungen für die Ortsebene der Wohlfahrtspflege haben. Problematisch sei derzeit besonders die Situation bei den Kindertageseinrichtungen, weil die Kibiz-pauschalen nichts auskömmlich sind, das Chaos bei der Berechnung der Investitionskosten in der stationären Altenhilfe, das im schlechtesten Fall eine rückwirkende Insolvenz von Einrichtungen zur Folge haben könnte, und die Unterfinanzierung im Offenen Ganztag.
Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt verzeichnet NRW einen deutlich größeren Anteil jüngerer Langzeitarbeitsloser (unter 45 J.) ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Die Caritas sieht in der Entwicklung von mehr und qualitativ besseren Bildungsangeboten speziell für Benachteiligte in NRW eine große arbeitsmarkt- und bildungspolitische Herausforderung. Den Jobcentern müssen wieder mehr Gelder für längerfristige Fort- und Weiterbildungen für benachteiligte Personen mit mehreren Vermittlungshemmnissen zur Verfügung gestellt werden.Harald Westbeld
Zwei Landesministerinnen, Landtagsabgeordnete und Kandidatinnen und Kandidaten aus allen im Landtag vertretenen Fraktionen diskutierten - sachkundig und spritzig moderiert von Susanne Bossy (Caritasverband Wuppertal/Solingen) - mit Caritas-Experten aus Diözesan- und Ortscaritasverbänden drängende soziale Themen. Jeder Diözesan-Caritasdirektor hatte sich dabei ein Themenfeld herausgegriffen, das er vorstellte. So forderte Josef Lüttig (DiCV Paderborn) einen langfristig geförderten sozialen Arbeitsmarkt, damit auch die rund 300.000 Langzeitarbeitslosen wieder eine Chance auf "gute Arbeit" erhalten. Besorgnis erregend nannte er die "vielen jüngeren Langzeitarbeitslosen unter 45 Jahren". Er wies darauf hin, dass derzeit landesweit rund 25.000 Ausbildungsplätze fehlen. Hier sei eine signifikante Erhöhung der Ausbildungsanstrengungen notwendig. Das Land sollte die Einführung einer Ausbildungsabgabe prüfen.
Das Thema Bildung nahm unter verschiedenen Aspekten breiten Raum ein: Dass rund 1,5 Mio. Menschen in NRW kaum lesen und nur schlecht schreiben können, verringert die Chancen auf einen Arbeitsplatz erheblich und erhöht das Armutsrisiko. Um diesen "funktionalen Analphabetismus" wirkungsvoll zu bekämpfen, brauche es passgenaue Lernangebote, so die Caritas, so der Kölner Diözesan-Caritasdirektor Frank Joh. Hensel. Gerade für junge Flüchtlinge müsse die schulische Bildung verlängert und die berufliche Bildung verbessert werden, forderte Hensel.
Martin Peis (Abteilungsleiter beim DiCV Essen): Der grundgesetzlich und menschenrechtlich garantierte Schutz von Familien muss gewährleistet sein. Gegen das Kindeswohl gerichtete und familienfeindliche Behördenpraxis muss beendet werden! Besonders problematisch sind die Folgen des erschwerten Familiennachzugs bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Selbst anerkannte Flüchtlinge unter ihnen dürfen nur noch ihre Eltern nachholen, nicht aber ihre minderjährigen Geschwister. Bei unbegleiteten Minderjährigen erlischt der Anspruch auf Nachzug der Eltern mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit und langer Antragszeiten ist eine Verlängerung des Anspruchs bis 21 Jahre geboten.Christian Heidrich
Überhaupt das Thema Flüchtlinge: Deren Integration so Martin Peis, Abteilungsleiter beim DiCV Essen, werde die Gesellschaft langfristig beschäftigen. Bei der Frage des Bleiberechts und des Familiennachzugs von Flüchtlingen forderte Peis die Einhaltung des grundgesetzlich und menschenrechtlich garantierten Schutzes von Familien. Er verwies auf enorme Anstrengungen und Initiativen für ein auskömmliches Miteinander und gegen eine fremdenfeindliche Stimmungsmache.
In Nordrhein-Westfalen ist die Caritas ein großer Träger von Altenheimen und Krankenhäusern. Dass es bei den Investitionskosten für die Einrichtungen, die das Land von Gesetzes wegen zu tragen hat, teilweise erhebliche Unterfinanzierungen bei den Krankenhäusern und viel Bürokratie und Schwierigkeiten bei den Altenheimen gibt, machte der Aachener Diözesan-Caritasdirektor Burkard Schröders deutlich. "Wir müssen dazu kommen, dass wir wieder mehr Pflege am Bett haben", unterstrich Schröders. Er sprach auch die "never ending story" bei der Frage der generalistischen Pflegeausbildung an, die angesichts des demografischen Wandels an Bedeutung eher noch zulegen werde.
Chancengleichheit für Kinder und die Zukunft des Offenen Ganztags in NRW waren Themen beim Gespräch zwischen Diözesan-Caritasdirekotr Heinz-Josef Kessmann und Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) beim politischen Talk zur Landtagswahl in Solingen-Müngsten. Harald Westbeld
Als großer Träger auch von Kindertageseinrichtungen und Einrichtungen des Offenen Ganztags drängt die Caritas seit längerer Zeit auf eine angemessene Re-Finanzierung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgaben. So müsse es bei den Kibiz-Pauschalen dringend eine Verbesserung geben, forderte Diözesan-Caritasdirektor Kessmann. Zudem sprach die Caritas die finanzielle Ausstattung im Offenen Ganztag an. Den Ball nahm die stellvertretende Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) auf, in deren Ressort als Schulministerin auch der Offene Ganztag fällt. Sie freue sich, "dass die Caritas deutlich macht, wo wir noch Entwicklungsbedarf haben", sagte sie. Den Grünen sei es wichtig, den, den Ganztag zu stärken.
Kölns Diözesan-Caritasdirektor Dr. Frank Joh. hensel: "Das Bildungs- und Teilhabepaket löst seinen Anspruch nicht ein! Kindern und Jugendlichen aus einkommensarmen Familien müssten Bildungs- und Teilhabeangebote unbürokratisch und kostenfrei zur Verfügung gestellt werden."Christian Heidrich
Mit der Veranstaltung im Schatten der Müngstener Brücke gelang der Caritas ein wichtiges Signal im sich zuspitzenden Landtagswahlkampf. In respektvoller Atmosphäre - begünstigt durch das gemeinsame Essen bei einer zünftigen bergischen Kaffeetafel und Gitarrenmusik von Kai Heumann und Joscho Stephan - kamen Vertreter aller Landtagsparteien auch zu Wort und konnten jeweils unterschiedlich nuanciert ihre Vorstellungen einer sozial gerechten Politik für die nächste Legislaturperiode darlegen und skizzieren. Mancher nutze die Gelegenheit auch nur zu Zuhören, um sich ein Bild über Problemstellungen und Lösungsansätze in Politikfeldern zu verschaffen, die nicht zu seinen Schwerpunkten zählen.
Intensiver Dialog: Pflegeministerin Barbara Steffens (Grüne) und Diözesan-Caritasdirektor Burkard Schröders (hier beim polit. Talk der Caritas in NRW zur Landtagswahl) sprachen über ihre unterschiedlichen Standpunkte bei den Investitionskostenregelungen für die Altenheime in NRW. Harald Westbeld
Neben der stellvertretenden Ministerpräsidentin Löhrmann und Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) waren etliche Abgeordnete und Kandidaten gekommen, obwohl an anderen Orten zeitgleich Parteitage der CDU und der FDP sowie der Wahlkampfauftakt der SPD stattfanden. Die Caritas hat sich in vielen Facetten als kompetenter parteipolitisch neutraler Partner für eine engagierte demokratische Politik der sozialen Gerechtigkeit präsentiert. Verbunden damit war auch die Absage an fremdenfeindliche populistische und menschenverachtende Forderungen, die zu einer Spaltung der Gesellschaft und zu Diskriminierung von Minderheiten und Schwachen führen sollen. Mit der Caritas - das war zu jeder Zeit spürbar - ist eine solche Politik nicht zu machen.
Mehr Informationen zur der Veranstaltung sowie eine Bildergalerie und weitere inhaltliche Forderungen finden Sie hier.