„Lehre statt Leere“ heißt es auch für Samba Cisse (19). Der junge Mann nimmt an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme im IN VIA St. Lioba Berufsförderzentrum in Paderborn teil. In der Einrichtung werden im Auftrag der Arbeitsagentur über 50 junge Menschen mit Handicaps ausgebildet oder auf einen Beruf vorbereitet. Die Teilnehmer der Caritas-Fachtagung hatten auch Gelegenheit, sich über die Arbeit des Berufsförderzentrums zu informieren.cpd/Jürgen Sauer
Düsseldorf/Paderborn - Die brummende Konjunktur und sinkende Arbeitslosenzahlen könnten ein Grund zum Aufatmen sein - wenn da nicht das konstant hohe Niveau der Langzeitarbeitslosigkeit wäre. Allein in NRW sind von 752.000 Arbeitslosen rund 313.000 Personen länger als ein Jahr arbeitslos, fast 100.000 gelten als vom Arbeitsmarkt "abgekoppelt", waren also über einen Zeitraum von vier Jahren nur einen einzigen Monat lang beschäftigt. "Wir haben in NRW ein echtes Problem mit verfestigter Arbeitslosigkeit", erklärte jetzt Dr. Frank Bauer vom Düsseldorfer Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei einer Fachtagung der Caritas in NRW in Paderborn. Titel der Tagung: "Lehre statt Leere". Nicht der Osten Deutschlands, sondern Nordrhein-Westfalen erweise sich, so Dr. Bauer, als echte Problemregion. Hier seien das Ruhrgebiet und das Bergische Städtedreieck Spitzenreiter in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit.
Die soziodemografischen Daten, die der Arbeitsmarkt-Experte bei der Tagung vorlegte, weisen gleichzeitig auf einen wichtigen Zusammenhang hin: Wer längere Zeit arbeitslos ist, hat häufig keinen Berufsabschluss. Über 60 Prozent der NRW-Langzeitarbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, davon sind 47 Prozent älter als 50 Jahre. "Das Risiko, ganz aus dem Arbeitsmarkt rausgekegelt zu werden, steigt mit dem Alter, vor allem aber mit fehlender Qualifikation", so Dr. Bauer.
„Wir haben in NRW ein echtes Problem mit verfestigter Arbeitslosigkeit“: Dr. Frank Bauer vom Düsseldorfer Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)cpd/Jürgen Sauer
Doch auch berufliche Qualifizierung wird in NRW zum Problem: Immer weniger Betriebe bilden aus. "NRW ist das Bundesland mit dem höchsten Bewerberüberhang". erklärte Dr. Reinhard Langer von der Agentur für Arbeit Meschede/Soest. Während selbst im strukturschwachen Osten Deutschlands rein rechnerisch für jeden Jugendlichen mindestens ein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht, gibt es in NRW nur für rund 80 Prozent der Bewerber eine Lehrstelle. In manchen NRW-Kommunen wie Köln, Hamm oder Detmold gibt es sogar nur für jeden zweiten Jugendlichen die Chance auf eine betriebliche Ausbildung.
Verständlich, dass unqualifizierte Helferjobs kurzfristig für Betroffene verlockend sind, aber langfristig besondere Risiken darstellen - nicht nur, wenn die Person arbeitslos wird. Einfache Helfertätigkeiten, so die NRW-Caritas in einem aktuellen Positionspapier, werden im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung keine große Zukunft haben; schon jetzt kommen rein rechnerisch auf eine Stelle neun Bewerber. Haben An- und Ungelernte eine Chance, auch nachträglich als Erwachsene zu einem Berufsabschluss zu kommen? Christoph Eckhardt, von der qualiNetz Beratung und Forschung GmbH, Duisburg, bot bei der Caritas-Fachtagung eine ernüchternde Analyse: Die Quote der erfolgreichen abschlussbezogenen berufliche Weiterbildung bei Arbeitslosen ohne Berufsausbildung liege bei nur 2,5 Prozent. "Diese Quote ist eindeutig unzureichend." Die Mittel für berufliche Weiterbildung müssten deutlich erhöht werden. Auch fehlten motivierende finanzielle Anreize für Betroffene, eine Ausbildung zu beginnen. "Viele entscheiden sich aus finanziellen Gründen gegen die Aufnahme einer abschlussbezogenen Weiterbildung, weil sie nicht noch weitere zwei Jahre auf dem Niveau von Arbeitslosengeld II wirtschaften wollen oder können", betonte Eckhardt.
Nur 2,5 Prozent aller Arbeitslosen ohne Berufsausbildung absolvieren erfolgreich eine abschlussbezogene berufliche Weiterbildung. „Diese Quote ist eindeutig unzureichend“, sagt Christoph Eckhardt, von der qualiNetz Beratung und Forschung GmbH, Duisburg.cpd/Jürgen Sauer
Lieber eine ungelernte Hilfsarbeit aufnehmen, als sich auf den unsicheren und finanziell unattraktiven Weg in eine berufliche Qualifizierung zu begeben - dieser Mechanismus lässt sich vor allem durch verbesserte Rahmenbedingungen durchbrechen, aber auch mit Flexibilität und Bereitschaft zu unkonventionellen Lösungen. Letztere standen im Mittelpunkt der Tagungsworkshops. So berichteten Vertreterinnen des IN VIA Verbandes Paderborn über eine erfolgreiche Teilzeit-Qualifizierung, die es z. B. auch Alleinerziehenden ermöglicht, nachträglich einen Berufsabschluss zu erwerben. Andere Träger setzen bei den digitalen Kompetenzen junger Menschen an. Deutlich vernehmbar war bei der Tagung die Forderung nach einer "Entkrampfung" des starren dualen Systems. "Dieses System ist für manche Betroffene der Genickbruch", so eine Teilnehmerin. Wer unter besonderen persönlichen Schwierigkeiten leidet, der müsse auch mal fünf Jahre Zeit haben, einen Beruf zu erlernen.
cpd