Tafeln im Dilemma
Taugen Tafeln und andere Lebensmittelausgaben als nachhaltige Instrumente zur Armutsbekämpfung? Glaubt man den Verantwortlichen aus diesem Arbeitsfeld, die jetzt auf Einladung der NRW-Diözesan-Caritasverbände zu dieser Thematik bei einem (digitalen) Fachtag diskutierten, muss man diese Frage mit einem klaren "Nein" beantworten. "Wir sehen, dass die Menschen dauerhaft zu uns kommen. Zur Armutsbekämpfung ist die Lebensmittelausgabe nicht geeignet", erklärte stellvertretend für viele der 65 Teilnehmenden Marita Hill vom Sozialdienst katholischer Frauen und Männer in Menden (Märkischer Kreis).
Sosehr sich auch viele Angebote weiterentwickelt haben und mit ergänzenden Formen der Unterstützung gekoppelt sind, wie Beispiele aus dem Caritasverband für den Kreis Soest veranschaulichten: Es bleibt bei vielen Experten ein zwiespältiges Gefühl: Statt Almosen in Form von Lebensmitteln zu verteilen, sei den Betroffenen besser geholfen, wenn sie durch sozialpolitische Lösungen erst gar nicht derartige Angebote in Anspruch nehmen müssten, so der Tenor der Caritas-Statements schon zur Gründung der Tafeln vor fast 30 Jahren.
Zahl der Tafeln verdreifacht
Doch trotz dieser Skepsis ist die rasante Verbreitung von Tafeln nicht zu stoppen. Zwischen 2004 und 2021 habe sich deren Zahl in Deutschland von 330 auf 956 Einrichtungen fast verdreifacht, nicht eingerechnet etwa 600 Lebensmittelausgaben, die nicht dem Tafel-Dachverband angeschlossen seien, berichtete Dr. Frank Johannes Hensel, Diözesan-Caritasdirektor im Erzbistum Köln und Vorsitzender des Arbeitsausschusses Armut der Freien Wohlfahrtspflege in NRW. "In der Pandemie wurden die Tafeln sogar von Politik und Gesellschaft als systemrelevant wahrgenommen." Fragen einer nachhaltigen Armutsbekämpfung seien damit in den Hintergrund getreten, obwohl die Zahl der Armen steige. Auch die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, blickt mit Sorge auf diese Entwicklung. Es werde in Deutschland für arme Menschen immer schwieriger, in wirtschaftlich abgesicherte Verhältnisse zurückzukehren. Inzwischen müssten 70 Prozent der Armen damit rechnen, auch nach fünf Jahren immer noch arm zu sein. Welskop-Deffaa: "Das macht mich unruhig." Die Zeit der Tafeln als Instrument zur vorübergehenden Überwindung einer akuten Notsituation ist also längst nicht vorbei: Inflation und explodierende Energiepreise ließen befürchten, dass sich schon bald der Run auf die Tafeln verstärken werde, wie ein Teilnehmer anmerkte.
Sozialpolitik statt Almosen
Die Tagung der Diözesan-Caritasverbände in NRW warb dafür, Tafeln nicht isoliert zu betrachten, etwa nur unter dem Stichwort Lebensmittelrettung, dem sich inzwischen auch andere Initiativen wie die Foodsharing-Bewegung widmen. So einleuchtend das Tafelprinzip auch klinge - Lebensmittel retten, Menschen helfen - so sehr sei es eingebunden in die konventionelle Lebensmittelproduktion mit ihren Verwerfungen.
Umweltzerstörung und Hunger
"Der globale Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelüber- und -fehlproduktion, Umweltzerstörung und Hunger wird lokal in Deutschland mittels der Tafelstrukturen am Ende der Verursacherkette symptomatisch gelöst", heißt es dazu in einem Diskussionspapier, das auf der Tagung vorgestellt wurde. "Lebensmittel werden nicht weggeworfen, Arme werden mit Nahrungsmitteln versorgt." Was so einfach aussieht, enthält eine Spannung, die immer wieder hinterfragt, aber auch "ausgehalten und gestaltet werden muss", wie Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa abschließend betonte.
Das Positionspapier der Caritas in NRW finden Sie hier.