Regelsatz ist verfassungswidrig!
Deutscher Caritasverband / Harald Oppitz, KNA
Denn die Anpassung des Regelsatzes reicht vorne und hinten nicht, wie der von der Freien Wohlfahrtspflege NRW und dem Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen vorgelegte Arbeitslosenreport zeigt. Während der Verbraucherpreisindex von Dezember 2020 bis Dezember 2021 um 5,2 Prozent gestiegen ist, wurde der Regelsatz für das Jahr 2022 um lediglich 0,7 Prozent erhöht.
Enorme Preissteigerungen
"Es bedarf keiner großen Rechenkünste, um zu sehen, dass das nicht reichen kann. Die Grundsicherung muss das Existenzminimum sicherstellen. Wenn solch enorme Preissteigerungen nicht berücksichtigt werden, ist der Regelsatz verfassungswidrig! Hier muss der Gesetzgeber dringend ran", fordert Hans-Georg Liegener, Direktor des Caritasverbandes für das Bistum Essen. Bereits 2014 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Regelbedarfe an der untersten Grenze dessen liegen, was verfassungsrechtlich gefordert ist. "Seitdem ist die Schere immer weiter auseinandergegangen. Schon im Januar war mehr als offensichtlich, dass mit lächerlichen drei Euro mehr pro Monat die steigenden Lebenshaltungskosten nicht aufgefangen werden können. Und nun gehen durch den Krieg in der Ukraine noch die Energiekosten durch die Decke", so der Caritasdirektor.
Existenzgefährdende Unterdeckung zwingt zum Handeln
Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten, heißt es im Verfassungsgerichtsurteil. Die Wohlfahrtsverbände in NRW fordern eine Erhöhung, die zum Verbraucherpreisindex passt und so der Lebensrealität entspricht. Nach ihren Berechnungen müsste ein bedarfsgerechter Regelsatz für einen alleinstehenden Menschen deutlich über 600 Euro pro Monat liegen. Aktuell beträgt er jedoch nur 449 Euro. Nach Berechnungen der Bundesbank ist für das Jahr 2022 mit einem weiteren Anstieg des Verbraucherpreisindexes zu rechnen. "Steigende Preise, aber nicht mehr Geld zum Leben - das funktioniert so nicht. Wir brauchen eine Anpassung der Regelsätze und Soforthilfemaßnahmen. Mit 100 Euro mehr im Monat wäre zumindest eine kurzfristige Unterstützung gegeben." fordert Hans-Georg Liegener.
Armut im Ruhrgebiet
In den Ruhrgebietsstädten des Bistums Essen beziehen im Schnitt 16 Prozent aller Menschen SGB-II-Leistungen (Ennepe-Ruhr-Kreis 10 Prozent, Gelsenkirchen 24 Prozent). Der Arbeitslosenreport zeigt: Besonders kritisch sieht es bei Alleinerziehenden mit zwei oder mehr Kindern aus. "Die Erkenntnisse sind nicht neu, und gerade deswegen ist es so erschreckend, dass sich seit Jahren nichts an der Situation ändert", so Hans-Georg Liegener. Gleiches gelte für Kinder im SGB-II-Bezug. Selbst im Ennepe-Ruhr-Kreis sind über 15 Prozent der Kinder arm, in Gelsenkirchen betrifft es fast jedes zweite Kind. "Das können wir nicht länger hinnehmen. Wir benötigen sofort den Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder, und die Kindergrundsicherung muss endlich umgesetzt werden."
Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den "Arbeitslosenreport NRW". Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und zur Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW enthält auch übersichtliche Datenblätter mit regionalen Zahlen. Er ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen.