"Ich befürchte eine Verschlimmbesserung"
Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für PalliativmedizinMartin Karski
Caritas in NRW: Menschen haben Angst vor dem Sterben, Angst vor einem schmerzhaften Sterben, vor dem Leiden vor dem Tod. Was können Sie als Palliativmediziner diesen Menschen sagen?
Lukas Radbruch: Ich würde ihnen zunächst mal gerne die Angst nehmen, weil es tatsächlich viele Möglichkeiten gibt, Schmerzen und andere Symptome gut zu lindern. Wir haben in der Schmerztherapie schon seit vielen Jahren einen sehr hohen Standard, und der wird laufend weiter verbessert. Es gibt neue Möglichkeiten, neue Medikamente, schnell wirksam bei Durchbruchschmerzen. Bei fast jedem Patienten kriegen wir eine gute Schmerzlinderung hin. Das bedeutet nicht, dass nicht ab und zu mal ein Patient sagt, dass er lieber etwas weniger nimmt und etwas Schmerzen weiter aushält, weil er sich dann zum Beispiel besser konzentrieren kann. Aber man kriegt eine Linderung hin auf ein Maß, dass der Patient sagt: So geht’s.
Das gilt auch für viele andere körperliche Symptome und Beschwerden in der letzten Lebensphase. An medizinische Grenzen stoßen wir in einem anderen Bereich: Das sind dann oft nicht die körperlichen Symptome, sondern der Verlust von Kontrolle, von eigenen Möglichkeiten und die Angst vor dem Unbekannten, was noch kommt.
Caritas in NRW: Manche Menschen sagen dann: "Gebt mir eine Spritze, und dann hat das alles ein Ende. Dann brauche ich mich damit nicht auseinanderzusetzen, und ihr seid mich auch los." Warum ist das zu kurz gedacht oder der falsche Weg?
Lukas Radbruch: Das klingt so wie der einfache Weg. Nach dem Motto: "Wenn der Patient das sagt - und der hat das wohl überlegt, und es ist auch klar, dass er das wirklich so meint, und er lehnt die Alternativen ab - dann kann man das doch machen." Das waren jetzt aber schon drei "Wenn".
Und ich erlebe eben im normalen Leben, dass Patienten so reden, die eben nicht über alle alternativen Möglichkeiten aufgeklärt sind. Und ich erfahre von Kollegen oder auch von Fällen aus dem Ausland, wo man sagt, da hätte doch aber ein bisschen Schmerzlinderung gut funktioniert. Ich erlebe, dass Patienten zwar wirklich diesen klassischen Satz sagen: "Jeden Hund würden sie einschläfern - warum machen sie das nicht bei mir?" Ich erlebe aber auch, dass dieselben Patienten am gleichen Tag nachmittags sich freuen, weil die Familie da ist, sie auf der Terrasse sitzen und lachen und offensichtlich das Leben auch genießen können. Also das schwankt.
Ich erlebe, dass Patienten diesen Todeswunsch haben, aber gleichzeitig Lebenswillen ausdrücken. Dass sie eine Woche lang ganz depressiv nur warten, dass der Tod schnell eintritt, und danach wie ausgewechselt die verbleibende Lebenszeit gut genießen können. Daraus ziehe ich den Schluss, dass es eben nicht klar ist, wer überhaupt eindeutig, unwiderruflich und in Ablehnung aller Alternativen diesen Todeswunsch so äußert. Der Wille ist sehr flottierend, oft ambivalent, hin und her gerissen und eben eigentlich nie in dieser Klarheit.
Diözesan-Caritasdirektor und Moderator der Dialogrunde Dr. Frank Joh. Hensel (links) und Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (Berlin).Martin Karski
Caritas in NRW: In Belgien und den Niederlanden ist Sterbehilfe - auch assistiert durch Ärzte - in bestimmten Situationen erlaubt. Wie sehen Sie das?
Lukas Radbruch: Für mich ist das der beste Beweis dafür, dass sich so etwas eben auch nicht regeln lässt. Beide Länder, die Niederlande und Belgien, haben angefangen mit scheinbar ganz klaren, eindeutigen Regelungen. Es gibt Kontrollmechanismen, die Ärzte durchlaufen müssen. Und wir erleben, dass dort die sogenannte Euthanasie im Laufe der Jahre immer weiter ausgeweitet wird. Dass die Zahlen ansteigen, dass Sterbehilfe mittlerweile eben auch bei Indikationen geleistet wird, die ursprünglich undenkbar gewesen wären. In den Niederlanden gab es über 30 Erweiterungen der Gesetzgebung, bei denen immer neue Indikationen dazugekommen sind. Jetzt gibt es Sterbehilfe auch für Menschen mit Demenz, sie wird auch für Menschen mit Depressionen gemacht. In Belgien wissen wir von einer ganzen Reihe von Einzelfällen, wo sich jeder an den Kopf fasst. Bei einem besonders spektakulären Fall sagte dann der Vorsitzende der staatlichen Kommission: "Vor fünf Jahren hätten wir das noch lange diskutiert, jetzt haben wir das in fünf Minuten durchgewinkt."
Das zeigt eben auch, wie schnell aktive Sterbehilfe von einer klar geregelten Ausnahme zu einem Normalfall wird. Sobald man anfängt, das für den Patienten im linken Bett zu überlegen, muss man bei dem im rechten Bett sagen: Warum bei dem nicht auch?
Caritas in NRW: Der Deutsche Bundestag wird bis zum Jahresende über das Thema entscheiden, verschiedene Gesetzesentwürfe liegen vor. Was würden Sie den Abgeordneten sagen?
Lukas Radbruch: Mein Wunsch wäre eigentlich, dass alles so bleibt, wie es ist, weil wir mit der bestehenden Gesetzesregelung eigentlich viel Freiraum haben und viele Optionen umsetzen können. Wir glauben, dass viele von den Vorschlägen, die jetzt gemacht werden, eher eine Verschlimmbesserung wären. Da soll dann zunächst erst mal verboten und dann unter bestimmten Umständen wieder erlaubt werden. Wir glauben, dass das wirklich nur zu neuen Grauzonen führt und neue Unklarheiten entstehen. Mein Wunsch ist es, dass man die geschäftsmäßig organisierte Hilfe zum Suizid untersagt, aber alles andere lässt, wie es ist. Wir fürchten, dass es nicht dabei bleiben wird.
Das Interview führte Markus Lahrmann