Köln - Mit überlegten Worten hat sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki gegen ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung und organisierte Sterbehilfe gewandt. Die Frage nach einem Sterben in Würde sei eng verknüpft mit unserer Vorstellung von einem Leben in Würde, sagte Woelki im Grußwort zu einer Veranstaltung der Caritas in NRW und der Caritas-Akademie Hohenlind am Mittwochabend in Köln. Er warnte vor der "irrigen Annahme", dass nur ein Leben in Jugendlichkeit und Schönheit, Sportlichkeit und mit gewissem Auskommen lebenswert und würdig sei. "Geistig Behinderten oder Alten die Würde abzusprechen, kann nicht wirklich im Interesse aller sein", sagte der Kölner Erzbischof vor über 250 Ärzten, Pflegeleitungen und Hospizmitarbeitern. Es sei unangemessen, im Kontext des Sterbens von "Selbstbestimmung" und falsch verstandener "Lebensqualität" zu sprechen. Am Ende des Lebens zähle, "dass man nicht allein ist, dass man sich seiner Hilflosigkeit nicht schämen muss und dass der Schmerz erträglich gemacht wird". Ein Staat, der die Menschenwürde als höchstes Gut betrachte, sollte mehr dafür tun, dass Menschen würdevoll auf ihrem letzten Weg begleitet werden, statt ihnen einen zeitigen Tod gesetzlich zu regulieren, betonte der Kardinal.
Über die 12-jährigen Erfahrungen mit Gesetzen zur Palliativpflege und legaler Sterbehilfe in Belgien berichtete auf dem Fachtag Dr. Ursula Wetzels von der Palliativpflegestation St. Joseph (Moresnet - Belgien). In Belgien ist Sterbehilfe unter definierten Bedingungen straffrei, wenn der Patient sein körperliches und psychisches Leiden als unerträglich empfindet. Sterbehilfe darf demnach nur von einem Arzt durchgeführt werden und das Anliegen muss zuvor von einer Kommission geprüft werden. Zwar sei kein Arzt verpflichtet, Sterbehilfe durchzuführen, aber eine Institution wie ein Krankenhaus dürfe Sterbehilfe in ihren Räumen nicht verweigern.
Vor einer derartigen gesetzlichen Freigabe des ärztlich assistierten Suizids in Deutschland warnte der Präsident der Bundesärztekammer Prof. Dr. Frank Montgomery. "Es gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben, Sterbehilfe zu leisten", sagte er. Seit dem Eid des Hippokrates sei es uraltes Selbstverständnis und oberstes Gebot der Ärzte, Leben zu erhalten. Die Bundesärztekammer habe mit der Bekräftigung dieser Position klare ethische Führung innerhalb der Ärzteschaft übernommen. Er selbst favorisiere den derzeit vorliegenden Gesetzentwurf von Bundestagsabgeordneten um den CDU-Politiker Michael Brand, die Sterbehilfeorganisationen klar verbieten und nur die Sterbehilfe von sehr nahen Angehörigen straffrei belassen wollen.
Auf die großen Möglichkeiten der Schmerzmedizin wies der Arzt Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, hin. Heute seien fast alle Schmerzen und auch extreme Luftnot in den Griff zu bekommen, betonte er. Übrig blieben allenfalls sehr wenige Einzelfälle, für die man keine Gesetzesänderung brauche. Radbruch warnte vor einem Dammbruch, wenn man Sterbehilfe legalisiere. In Belgien und den Niederlanden, wo Sterbehilfe gesetzlich erlaubt und geregelt sei, stiegen die entsprechenden Fälle stetig an. "Für die Angehörigen ist es inzwischen der Normalfall, bei Menschen am Lebensende über Sterbehilfe nachzudenken", warnte Radbruch.
Werde die Suizidbeihilfe als sozial akzeptierte Möglichkeit anerkannt, verändere sich die Entscheidungssituation für alle Angehörigen, erklärte der Moraltheologe Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff. Er warnte in diesem Zusammenhang vor "subtilem Zwang" und großer Sogwirkung, die mit der Möglichkeit organisierter Sterbehilfe einhergehen. "Jeder Suizid ist eine Niederlage für die Gesellschaft", sagte Schockenhoff, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Konstruktionsprinzip der Gesellschaft sei nämlich, dass Leben besser ist als Nichtleben, Existenz besser als Nichtexistenz.
Mit der Veranstaltung wollten die Diözesan-Caritasverbände in NRW und die Caritas-Akademie Hohenlind den Teilnehmern Orientierungspunkte für eine eigene Positionierung bieten. Der große Zuspruch machte Aktualität und Bedeutung des Themas deutlich. Der deutsche Bundestag will am 3. Juli über das Thema beraten, eine Beschlussfassung ist für den Herbst geplant.