"Caritas und Pastoral – gemeinsam stark im pastoralen Raum"
…Wenn der Diakon in einer Stadt tätig ist, die am Meere liegt, soll er sorgsam das Ufer absuchen, ob nicht die Leiche eines Schiffbrüchigen angeschwemmt worden ist. Er soll sie bekleiden und bestatten. In der Unterkunft der Fremden soll er sich erkundigen, ob es dort nicht Kranke, Arme oder Verstorbene gibt, und er wird es der Gemeinde mitteilen, dass sie für jeden tut, was nötig ist. Die Gelähmten und die Kranken wird er baden, damit sie in ihrer Krankheit ein wenig aufatmen können. Allen wird er über die Gemeinde zukommen lassen, was nottut. (…) Wer aus den Diakonen der eifrigste und der beste Verwalter ist, soll ausgewählt werden, um die Fremden zu empfangen. Er soll ständig im Gästehaus der Kirche erreichbar sein, weiße Kleider und die Stola über der Schulter tragen. Der Diakon wird in allem wie das Auge der Kirche sein; er wird sich Mühe geben, ein Vorbild der Frömmigkeit zu sein.
aus: Rolf Zerfaß, Lebensnerv Caritas. Helfer brauchen Rückhalt, Freiburg 1992, 58f
Bei einem Fachtag "Gemeindecaritas im Bistum Münster" mit unserem Bischof im Juni 2018 stand auch damals die Frage im Raum, wie das Zusammenwirken von Kirche und Caritas gestärkt und vor allen Dingen auch nach außen hin verwirklicht und verdeutlicht werden kann. Bei den Überlegungen wurde klar, dass die Gemeindecaritas in unserem Bistum aufgrund der langjährigen gewachsenen konzeptionellen Ausrichtung in besonderer Weise das Zusammenwirken von Kirche und Caritas auf der Ebene der Pfarrei und Gemeinde symbolisiert.
Wir alle sind immer wieder Lernende in diesem Veränderungsprozess und sind herausgefordert, die Ressourcen zu bündeln, neue Wege der Zusammenarbeit zuzulassen, zu ermöglichen und zu gehen.
Dazu fallen mir einige Beispiele ein:
Beispiel 1: Bustour durch den pastoralen Raum
mit interessierten Freiwilligen der ehrenamtlichen Caritasarbeit und Caritas-Verantwortlichen aus dem Pastoralteam.
Eine wunderbare Idee: Ein Kollege aus dem Fachbereich Gemeindecaritas und die zuständige Pastoralreferentin für Caritasthemen aus dem Pastoralteam laden die Ehrenamtlichen und freiwillig Engagierten aus den Caritasgruppen der Gemeinden und weiteren Caritasfeldern ein zu einer Informations-Bustour durch den neuen pastoralen Raum.
Wichtig ist den Verantwortlichen dabei, dass sich die freiwillig Engagierten aus den verschiedenen Orten und unterschiedlichen Arbeitsfeldern kennenlernen und allen Mitfahrenden ganz anschaulich erfahrbar wird, was alles zum neuen pastoralen Raum gehört. Neben dem Kennenlernen des pastoralen Raums haben die Mitfahrenden die Möglichkeit an drei verschiedenen Orten interessante Projekte zu erleben: eine Anlaufstelle für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund, eine Wohngruppe für Menschen mit Beeinträchtigungen und eine youngcaritas-Gruppe, die mit ihrem Projekt "Warm durch die Nacht" junge Menschen gewonnen habt, die im Winter heißen Tee und Decken an Wohnungslose verteilen und das ganze Jahr über wärmende Gespräche anbieten. Zum Schluss: ein gemeinsames Reibekuchenessen in einer Altenhilfeeinrichtung.
Beispiel 2: Caritasverband und die Kirchengemeinde finanzieren eine halbe Stelle für die Koordination der ehrenamtlichen Caritasarbeit im Pastoralen Raum:
Lena Dirksmeier, Leiterin des Bereichs Engagement und Kirche sowie Referentin für Gemeindecaritas, Caritas und Pastoral beim Caritasverband für die Diözese Münster und Geschäftsführerin der Caritas-Konferenzen Deutschlands im Bistum Münster.Foto: DiCV Münster
In Zusammenarbeit mit dem Caritasverband wird im pastoralen Raum zunächst eine halbe Vollzeitstelle für Soziale Arbeit für eine Laufzeit von zwei Jahren eingerichtet. Der Caritasverband ist der Anstellungsträger. Die Finanzierung wird jeweils zur Hälfte von der Pfarrei und dem Caritasverband übernommen. Die Implementierung und fachliche Ausgestaltung der Stelle erfolgt in enger Abstimmung mit den ehrenamtlichen Verantwortlichen der Gemeindecaritas vor Ort. Der Rahmen wird durch folgende Fachkonzepte vorgegeben:
- Förderung, Begleitung und Beratung der Ehrenamtlichen
- Sozialberatung für verschiedene Zielgruppen, einschließlich der Vermittlung an Fachdienste vor Ort
- Förderung des lokalen Hilfenetzwerks durch die Entwicklung sozialräumlicher Prozesse
In einem Auftakt-Workshop mit Vertretern des Pastoralteams und der ehrenamtlichen Gemeindecaritas wird ein Stellenprofil erarbeitet.
Die Unterstützung und Begleitung des freiwilligen, caritativen Engagements im Pastoralraum ist gemeinsame Aufgabe des Vertreters des Seelsorgeteams und der Fachkraft.
Ziel der unterstützenden Tätigkeit ist zum einen, den Hilfe- und Ratsuchenden im Pastoralraum ein qualitativ hochwertiges Angebot durch die gemeindliche Caritas machen zu können. Zudem sollen die freiwillig Engagierten in ihrer jeweiligen Kompetenz Förderung erfahren und vor Überforderung geschützt werden.
Beispiel 3: Das Begegnungsmobil "Uns schickt der Himmel"
Ein Mobil macht sich auf den Weg zu den Menschen. An unterschiedliche Orte, halt dahin, wo die Menschen leben, arbeiten, ihre Freizeit verbringen. Die Orte des Treffens sind nicht "klassisch" das Pfarrheim oder eine Begegnungsstätte. Die Engagierten (Freiwillige und Hauptamtliche) kommen oder gehen zu den Menschen: auf die Skaterbahn, ins Neubaugebiet, den Friedhof, den Autobahnrastplatz oder die Wiese eines Festivals.
Dabei begegnen sie Menschen aus aller Welt, jeden Alters und Status, mit verschiedenen Haltungen zu Religion, Politik, sexueller Identität und immer ganz unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen.
Begegnung ist und bleibt der zentrale Begriff im Verständnis diakonischer Arbeit. Begegnungen zwischen Menschen zu ermöglichen ist eine Herausforderung, bedarf wichtiger Eigenschaften, ist aber zuerst eine Haltung: Offenheit gegenüber Menschen, die um sich selbst, um ihre Welt, um ihre Rechte, um ihre Würde, um ihre Zukunft ringen.
Das sich einlassen auf unbekannte Orte oder unbequeme Themen; das Aushalten von Nähe, Stille, vielleicht auch Trauer, Verzweiflung oder Wut der Menschen, die in diese Begegnung hineingeraten. Eine Haltung, die von Zugewandtheit, respektvoller Neugierde und Vorurteilssensibilität geprägt ist. Eine Haltung der Menschenfreundlichkeit, die Dialog ermöglicht, Empathie weckt, Misstrauen überwindet und von einem Klima des Respekts und des Mitgefühls getragen ist.
(vgl. Bischof Dr. F.-J. Bode, em. - Dem Populismus widerstehen, Juni 2019)
Nichts muss, vieles kann in solchen Begegnungen geschehen.
Diese Haltung zuzulassen und ein solches Angebot der zweckfreien Begegnung als Teil pastoralen und caritativen Handelns zu begreifen, ist bei Profis wie bei Freiwilligen eine Herausforderung. In den biblischen Beschreibungen der Lebenswirklichkeit von Jesus von Nazareth nehmen diese eher flüchtigen und nicht beabsichtigten Begegnungen einen großen Raum ein. Sie geschehen, sie ergeben sich auf der Straße, am Brunnen, bei Wanderungen am See oder bei den Einladungen zum gemeinsamen Essen.
Ausblick:
In einer Zeit, in der gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen an vielen Fronten spürbar sind, bietet der pastorale Raum eine Vielzahl von Chancen, die nicht nur die Kirche und ihre Caritas, sondern auch die Gemeinschaft stärken können.
Die Chancen im pastoralen Raum sind vielfältig. Sie bieten die Möglichkeit, gemeinsam stark zu sein. Indem wir die Potenziale von Caritas und Pastoral bündeln, können wir eine lebendige, inklusive Gemeinschaft aufbauen, die den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist. Lassen Sie uns die Vielfalt unserer Gesellschaft als Bereicherung sehen und aktiv an der Gestaltung unserer Lebensorte des Glaubens mitwirken. Gemeinsam können wir einen (pastoralen) Raum schaffen, in dem alle Menschen wertgeschätzt werden und in dem Begegnung und Unterstützung im Vordergrund stehen.
Eine Idee zum Abschluss:
Stellen Sie sich mal vor, Ihnen und vier weiteren Menschen aus Ihrem Umfeld wird eine Ballonfahrt über Ihren Pastoralen Raum geschenkt. Sie sehen ihn aus einer ganz anderen Perspektive. Ihnen fallen Dinge auf, die Sie bislang so noch gar nicht gesehen und wahrgenommen haben. Und jedem im Ballonkorb fällt etwas anderes auf. Sie kommen darüber miteinander ins Gespräch, tauschen sich aus.
Wir könnten doch mal - es wäre wunderbar, wenn - das probieren wir - ich weiß auch schon, wenn ich dazu fragen könnte und wer mich unterstützen kann …
Ich persönlich sehe große Chancen für die Gestaltung und das Leben in den Pastoralen Räumen. Es tut sich eine unheimliche Weite auf und damit verbunden auch der Wunsch nach vielen neuen Perspektiven, eine diakonische Kirche im Bistum Münster zu bleiben. Dafür müssen Haupt- und Ehrenamtliche aus Kirche und Caritas gemeinsam und je nach den eigenen Berufungen und Charismen für eine menschenfreundliche Gesellschaft einstehen und jedem Menschen Wertschätzung und Respekt entgegenbringen.