Kritik an Regierungsplänen
Ohne landeseinheitliches Ausführungsgesetz bleibt gute OGS Glückssache.Foto: Jörg F. Müller | LAG FW NRW
Hintergrund der Kritik ist das bundesweite "Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter" von 2021. Dieses schreibt den Anspruch auf Ganztagsbetreuung in den Bundesländern ab dem Schuljahr 2026/2027 vor. Statt fester Regelungen zu dessen Umsetzung habe die Landesregierung nur "Fachliche Grundlagen für die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsförderung für Kinder im Grundschulalter" formuliert, bemängelte die Wohlfahrtspflege. Darin fänden sich auch weiterhin keine Vorgaben für qualitative Verbesserungen, etwa mit Blick auf Räume, Personalschlüssel oder Ernährungsstandards. Probleme, etwa ein schlechter Ausbildungsstand beim Personal oder eine geringe Bezahlung der Mitarbeitenden, würden nicht gelöst. Zudem fehlten konkrete Aussagen zur Finanzierung der flächendeckenden Betreuung. Die Qualität an Ganztagsschulen bleibe weiter eine freiwillige Leistung der Kommunen.
Tim Rietzke, Vorsitzender des Arbeitsausschusses Familie, Jugend und Frauen der Freien Wohlfahrtspflege, kommentierte enttäuscht: "Sämtliche Hoffnungen auf bessere Rahmenbedingungen für einen qualitativ guten Ganztag in ganz NRW sind nun hinfällig. Auch weiterhin wird es keinerlei Vorgaben hinsichtlich Räumen, Personalschlüssel, Gruppengrößen, der fachlichen Qualifizierung der Mitarbeitenden und der Ernährungsstandards geben."
Pauschal erhalten alle am 1. August 2026 bestehenden außerunterrichtlichen Ganztagsangebote an der Offenen Ganztagsschule (OGS) eine Betriebserlaubnis. Die bisherige Finanzierungssystematik soll weitergeführt werden, konkretere Aussagen zur künftigen Finanzierung der OGS werden nicht getroffen. Das erst im Juni 2022 im Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen formulierte Ziel, Mindeststandards für den Ganztag zu entwickeln und ein Fachkräftegebot umzusetzen, wird damit nicht umgesetzt, so die Wohlfahrtsverbände.
Die von der Caritas seit vielen Jahren immer wieder angesprochenen Problemlagen, wie etwa Beschäftigung in Teilzeitstellen mit niedriger Wochenstundenzahl, Beschäftigung gering qualifizierten Personals, niedrige Entlohnung und eine damit einhergehende überdurchschnittliche Personalfluktuation, werden somit weiterhin nicht bearbeitet. Die Qualität der Ganztagsschulen wird auch künftig von den freiwilligen Leistungen der einzelnen Kommunen abhängen. Die bestehenden großen regionalen Ungleichheiten bezüglich Finanzierung, Standards und Strukturen werden weiter zementiert. Mit den sogenannten fachlichen Grundlagen kommt das Land NRW seiner Verantwortung, endlich landesweit vergleichbare Bedingungen in allen Städten und Dörfern zu gewährleisten, auch künftig nicht nach.
Stimmen aus der Praxis
Groß ist die Verärgerung und Enttäuschung über das fehlende Ausführungsgesetz bei den Träger der OGS in der Fläche:
"Durch diese ‚Nicht-Stellungnahme‘ verschiebt sich eine eindeutige Festlegung der Personalstandards, v.a. Anzahl der Mitarbeiter pro Gruppengröße in eine ungewisse Zukunft. Damit wird der angespannte Zustand an den Schulen weiter verlängert. Durch eine eindeutige Festlegung würde sich auch ein Anspruch auf eine auskömmliche Finanzierung ergeben, und man darf wohl Absicht unterstellen, wenn einer solchen Festlegung weiter aus dem Weg gegangen wird. Die Personalsituation bleibt angespannt (zu Lasten der Mitarbeitenden und zu Lasten der Betreuungsqualität vor Ort) und auch die finanzielle Situation für die Träger bleibt weiter angespannt. Qualifikationen entwerfen wir immer noch ins Ungewisse hinein, auch wenn inzwischen die Zusicherung steht, die bisherigen Nicht-Fachkräfte halten zu können. Auch mit diesen Kosten bleiben die Träger allein."
Robert Wagner, Haus St. Josef Eschweiler, www.hsj-eschweiler.de
"Ich habe das gestern ebenfalls mit Fassungslosigkeit zu Kenntnis genommen, was die Ministerien da rausgegeben haben…
Für mich liest sich das nach einer nach wie vor sehr schlecht finanzierten Betreuungsleistung, die räumlich und personell grundsätzlich erst einmal keine Standards einzuhalten hat. Bei steigenden Tariflöhnen bedeutet es aber bei gleichzeitig wachsender Anzahl an zu betreuenden Schüler*innen mindestens eine Stagnation in den Mitarbeitendenzahlen, wenn nicht sogar einen versteckten Personalabbau. Es ist eine Situation, wie wir sie schon jetzt in Hamm haben - wir müssen jedes Kind aufnehmen, aber das Geld und die Räume stehen nicht entsprechend zur Verfügung.
Gleichzeitig wird beschrieben, dass das "nicht grundständig qualifizierte Personal" über den Ganztagsträger Fort- und Weiterbildungsangebote bekommen soll. Wir wissen alle, dass die Qualität der OGS-Fachkräfte-Ausbildungen oftmals vom Weiterbildungsinstitut abhängen…"
Margit Heile Fachbereichsleitung Bildung, Caritasverband Hamm
"Im Herbst 2021 wurde das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter beim Bund beschlossen. Während der Corona-Pandemie wurde unübersehbar, wie wichtig ein funktionierendes System frühkindlicher Bildung und Schule für die Zukunft der Kinder, der Familiensysteme und nicht zuletzt für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft insgesamt ist. Nach der Corona-Pandemie wurde und wird allerorten sichtbar, welcher Schaden Kindern entstanden ist und wie sich die derzeitigen gesellschaftlichen Multikrisen zusätzlich belastend auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken. -
Wie sollen Kinder und Jugendliche im Sinne einer von Toleranz und Inklusionskultur geprägten zudem bildungsgesicherten Innovationsgesellschaft gefördert werden, wenn die mehr als deutlich "auf dem Tisch liegenden" Erfordernisse politisch ignoriert werden und nicht verstanden wird, dass die Investition in die Erziehung und Bildung der Kinder die wichtigste Zukunftsinvestition zur Sicherung unserer gesamten Gesellschaft ist?
Da treibt es einen schon den Puls in die Höhe, jetzt zu bilanzieren, dass das Bildungsministerium NRW anstelle die zurückliegenden Jahre konstruktiv und mit einem der Sache angemessenem Engagement verantwortlich genutzt zu haben, sich nun in Rhetorik flüchtet und quasi offenbart, dass die zwischenzeitlichen "Wasserstandsmeldungen" eigentlich nichts mehr als "heiße Luft" waren. Es ist schon mehr als mutig, zum Finale die Verantwortung und Zuständigkeit wieder an die Kommunen zurück zu verweisen.
Das ist deutlich zu wenig! Hier werden insbesondere Kinder sozialschwacher und bildungsferner Familien sehenden Auges "abgehängt" und Lehrkräfte und Mitarbeitende des Offenen Ganztags in personalinsuffizienten und infrastrukturell überkommenen Bildungsstrukturen allein gelassen!
Es wird höchste Zeit, sich einem konstruktiv-ernsten Dialog zu stellen bei dem das "Ping Pong Spiel von Forderung und kreativer Ablehnung nicht unendlich weiterläuft, sondern auf Basis einer gemeinsamen Realisierung der zunehmend schwierigeren Rahmenbedingungen, nach praktikablen und schnell wirksamen Lösungen gearbeitet wird, die der Entwicklung und Zukunft der Kinder gerecht werden. Was hilft es nach mehr Fachkräften zu rufen, wenn klar ist, dass diese in den nächsten Jahren auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen?
Der Ball liegt hierbei weiterhin bei der Ministerin, die nun noch deutlicher gefordert ist, sich den Hut aufzusetzen und gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Spitzenverbänden der Wohlfahrt nach pragmatischen Lösungswegen zur Überwindung der nun nicht mehr wegzudiskutierenden Bildungskrise zu suchen. Hier ist Sie weiterhin in der Verantwortung und Pflicht und an Ihren Taten zu messen."
Udo Gaden, Leitung Jugend, Familie und Inklusion, Caritasverband Soest
"Positiv muss man konstatieren, dass das gemeinsame Papier der beiden Ministerien und der Kabinettsbeschluss zu den "Fachlichen Grundlagen" endlich das laute Schweigen der Landesregierung im Themenbereich der Offenen Ganztagsbildung beendet. Zugleich stellen wir allerdings fest, dass das Papier inhaltlich keinerlei Hinweise darauf gibt, wie die Zukunft der OGS in NRW aussehen wird. Dass keinerlei fachliche, personelle und räumliche Mindeststandards formuliert werden, ist für uns gerade mit Blick auf den Koalitionsvertrag der Landesregierung absolut unverständlich. Als größter Träger Kölns sind wir zudem mehr als enttäuscht, dass es nach wie vor keinen Ausblick auf eine angemessene finanzielle Ausstattung unserer Arbeit gibt und auch das Zuständigkeitsverhältnis zwischen Land und Kommune weiterhin unklar bleibt. Wir erinnern die Landesregierung an dieser Stelle vehement an das im Koalitionsvertrag konkret formulierte Ziel eines Landesausführungsgesetzes mit verbindlichen Mindeststandards und bitten Frau Feller und Frau Paul erneut: Schaffen Sie endlich Klarheit und eine verbindliche Struktur, die es Schulträgern, Kommunen, Schulen und Jugendhilfeträgern ermöglicht, ein konsistentes und zukunftsfestes Bildungsangebot für die Grundschulkinder in NRW zu gestalten."
Andrea Redding, Vorständin des IN VIA Köln e. V.