Kitas am Limit
Uns erreichen fast täglich Meldungen zu Schließungen von Gruppen oder gar ganzen Einrichtungen", sagt Aachens Diözesan-Caritasdirektor Stephan Jentgens. Um trotz des Personalausfalls eine Betreuung zu gewährleisten, versuchen viele Einrichtungen, mit einer Mindestbesetzung die tatsächlich anwesenden Kinder zu betreuen. "Wir sehen flexibles und engagiertes Personal, das Überstunden macht, Urlaube verschiebt und Fortbildungen ausfallen lässt", so Jentgens. Dienstpläne würden häufig kurzfristig umgestaltet, Personal und Leitung seien ständig gefordert, das auch praktisch umzusetzen und geplante Aktivitäten zu verschieben oder gar zu verwerfen. "Leider bedeutet das auch für die Leitung, ihre inhaltliche Arbeit - beispielsweise die qualitative Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit der Einrichtung, die Anleitung und Einarbeitung von Mitarbeitenden - auf ein Minimum zu reduzieren", so Jentgens.
Der Diözesan-Caritasdirektor würdigte, dass viele Eltern die Not der Einrichtungen erkennen und die gebuchten Betreuungsstunden nicht einfordern, sondern Kompromisse eingehen, also Kinder zu Hause halten, früher abholen oder nur tageweise bringen. Es seien die Kinder, die die Unregelmäßigkeit in der Betreuung (durch Personalwechsel, Gruppenzusammenlegungen, verkürzte Zeiten) aushalten müssten, so Jentgens.
Durch die Kraftanstrengungen von Mitarbeitenden, Leitungen, Eltern und Trägern werde die reale Dimension des Personalmangels allerdings verschleiert. "Hinzu kommen neben den Auswirkungen der Coronapandemie die zusätzlichen Erholungstage aus den letzten Tarifverhandlungen, die sich massiv auf den Personalschlüssel auswirken", betonte Jentgens. Im Jahr 2022 sei es den Mitarbeitenden kaum möglich gewesen, die Erholungstage zu nehmen. Somit verstärke sich die Problematik in diesem Jahr, da nun der Anspruch auf vier Tage bestehe.
Sofortprogramm Kitas
Das von Familienministerin Josefine Paul (Grüne) aufgelegte Sofortprogramm sieht vor, den Einsatz von Ergänzungskräften auszuweiten. Zudem sollen junge Menschen für ein Freiwilliges Soziales Jahres (FSJ) in einer Kita gewonnen werden. Auch werde die Ausbildung zum Kinderpfleger oder zur Kinderpflegerin weitergeführt und gefördert.
"Mit dem ‚Sofortprogramm Kita‘ ergreifen wir kurzfristig erste notwendige Maßnahmen in dieser akuten Situation", erklärte die Familienministerin. Es handele sich um einen ersten Schritt, dem weitere Maßnahmen folgen müssten. Mit dem Ausbildungsjahr 2023 ab 1. August können laut Ministerium bis zu 900 Ausbildungsplätze in der Kindertagesbetreuung neu gefördert werden. Zusammen mit der im Vorjahr begonnenen Förderung von rund 500 Plätzen würden 2023/24 bis zu 1400 Ausbildungsplätze unterstützt. Dafür stünden mehr als 20 Millionen Euro bereit. Ziel sei auch, den Quereinstieg zu erleichtern und unterschiedliche Zielgruppen für die Kita-Betreuung zu gewinnen - etwa Studierende aus pädagogischen Fachrichtungen oder Psychologen. Frauen mit eigener Einwanderungsgeschichte sollten als Integrationsbegleiterinnen einen Einstieg ins Berufsfeld bekommen.
"Das Sofortprogramm der Landesregierung beinhaltet Maßnahmen, die mindestens dringend nötig sind", sagte Jentgens, der als Vorsitzender des Arbeitsausschusses Tageseinrichtungen für Kinder das Programm mitverhandelt hatte. Es bleibe zu hoffen, dass die Maßnahmen dem Personalmangel kurzfristig entgegenwirkten, doch seien weitergehende Maßnahmen, die auch die Grundlogiken des Fachkräftemangels reflektierten, zeitnah notwendig.
So müssten multiprofessionelle Teams in die Lage versetzt werden, die Qualitätsstandards insgesamt einhalten zu können. Da durchschnittlich 20 Prozent der Mitarbeitenden in den Kita-Gruppen krankheits-, urlaubs-, vorbereitungs- oder fortbildungsbedingt abwesend seien, "benötigten wir eigentlich entsprechend mehr refinanziertes Personal", forderte Jentgens. Darüber hinaus müsse die Finanzierung der Kitas auskömmlich gestaltet werden.
Markus Lahrmann (mit KNA)
Grundproblem Personalmangel
Die Differenz zwischen Betreuungsbedarf und Betreuungsquote verdeutlicht den Personalmangel in den Kitas. Im U3-Bereich liegt diese Differenz bei 14,7 Prozentpunkten zwischen Betreuungsbedarf (44,3 %) und Betreuungsquote (29,6 %). Für den Ü3-Bereich bis zur Einschulung liegt die Differenz bei 4,3 %. Bundesweit fehlen im Jahr 2023 384000 Kita-Plätze. 98600 Fachkräfte müssten in deutschen Kitas zusätzlich eingestellt werden. 4,3 Milliarden Euro würden die zusätzlichen Erzieher pro Jahr kosten.