Impfen: Niemanden aus dem Blick verlieren
In diesen sonst so trüben Wochen gehört es für mich zu den wenigen Lichtblicken, dass diese Impfstrategie in der Gesellschaft so gut wie gar nicht infrage gestellt wurde. Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass es mit der inneren Verfasstheit dieses Staates gar nicht so schlecht bestellt sein muss. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Seit nunmehr 72 Jahren ist das unsere "Geschäftsgrundlage". Es scheint zu funktionieren.
Wenn es ums Impfen geht, darf die Hochachtung alter Menschen jedoch nicht bei Altenheimbewohnerinnen und -bewohnern stehen bleiben. Corona hat gezeigt, wie schnell viele Menschen auf Hilfe angewiesen sind, wenn sich die gewohnten Weisen des Interagierens und Kommunizierens schlagartig ändern. Und dazu gehören vor allem Senioren. Wer nicht digital unterwegs ist, wer mit Begriffen wie Benutzername und Passwort nichts anfangen kann, wem selbst das gewohnte Telefonieren fremd geworden ist, weil am anderen Ende der Leitung sich häufig nur noch ein Callcenter meldet, der fühlt sich langsam, aber sicher vom Leben abgehängt. Etwa ein Drittel der mehr als vier Millionen Menschen über 60 Jahre in NRW ist allein lebend, hat also niemanden im Haushalt, der sie unterstützt. Auch nicht bei so existenziellen Dingen wie bei den anstehenden Impfungen. Wie geht das mit der Terminvergabe? Wie komme ich überhaupt zum Impfzentrum? Und überhaupt: Soll ich mich eigentlich impfen lassen?
Die Hoffnung, dass die Behörden sensibel und zielgruppengerecht agieren werden, hat sich bislang nur teilweise erfüllt, wie der - allerdings erwartbare - Ansturm auf die Impfterminvergabe gezeigt hat. Hier ist "Amtshilfe" gefragt, und zwar auch durch die Zivilgesellschaft. Im Erzbistum Paderborn haben Caritas- und Fachverbände bereits Hilfe angeboten. Ehrenamtliche werden gebeten, allein lebende Senioren zu unterstützen, manche Verbände und Gruppen haben schon signalisiert, dass sie Fahrdienste organisieren werden.
Niemanden aus dem Blick verlieren und zurücklassen - das ist das Gebot der Stunde. Auch dies macht die Lebensqualität eines Landes aus.
Der Kommentar wurde am 27. Januar 2021 aus gegebenen Anlass angepasst und weicht dadurch von der gedruckten Fassung aus dem Infodienst "Caritas in NRW - AKTUELL" 1/2021 ab.
Weitere Beiträge zum Thema "Altenhilfe und -pflege" finden Sie hier in unserem Themendossier.