Die Ausbeutung muss aufhören
Caritas in NRW Wie sind die Verhältnisse jetzt?
Volker Brüggenjürgen: Verändert hat sich die arbeitsrechtliche Konstruktion in der Fleischindustrie. Rein formal sind Subunternehmer-Konstruktionen verboten, deswegen haben die Beschäftigten in der Fleischindustrie jetzt ganz normale Arbeitsverträge. Wir als Caritasverband Gütersloh kämpfen seit Jahren dafür, dass diese unternehmerische Verantwortungslosigkeit über die Subunternehmen aufhören muss. Seit über zwei Jahrzehnten gibt es eine sehr schlimme Ausbeutung von Arbeitnehmern aus Südosteuropa gerade in der Fleischindustrie. Wir als Caritasverband hoffen natürlich, dass die Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Arbeitskontext jetzt für die Beschäftigten einfacher wird.
Caritas in NRW: Wie sind die Arbeits-, Lebens- und Wohnverhältnisse dieser Menschen, die aus Ost- und Südosteuropa kommen und Arbeit suchen?
Volker Brüggenjürgen: Sie müssen sich das so vorstellen: Die Menschen werden in Bulgarien und Rumänien meist professionell angeworben, und ihnen wird versprochen, dass sie hier im Westen in der Fleischindustrie - bei uns im Kreis Gütersloh ist das insbesondere Tönnies - erheblich mehr Geld verdienen können als zu Hause. Dieses Versprechen lockt häufig sehr bildungsferne, sehr arme Menschen zu uns in die Region. Bis vor Kurzem erhielten die Menschen einen sogenannten Werkvertrag in die Hand gedrückt, mit dem sie bei einem Subunternehmer angestellt waren, dazu kriegten sie eine Matratze oder ein Bett angeboten. Diese Gemeinschaftsunterkünfte sahen dann meist so aus, dass drei, vier, fünf Beschäftigte in einem kleinen Zimmer gemeinsam wohnten. Für diese Schlafgelegenheit wurden ihnen dann mal zwischen 150 und 300 Euro vom Lohn abgezogen. Man hat die Leute in völlig desolaten Wohnungen zusammengepfercht, tagsüber haben sie dann in den Betrieben meist zwischen zehn und 12 Stunden lang gearbeitet.
Caritas in NRW: Die Bundesregierung hat jetzt die rechtliche Situation geändert. Was bringt das neue Gesetz?
Volker Brüggenjürgen: Wir hoffen natürlich, dass extreme Missbräuche im Arbeitskontext dadurch beendet werden können. Ein großes Problem war, dass man keine elektronische Zeiterfassung hatte und man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer wieder erhebliche Stundenanteile gekürzt oder einfach nicht bezahlt hat. Die Menschen waren manchmal zehn, zwölf oder noch mehr Stunden auf dem Betriebsgelände, wurden aber nur für sieben oder acht Stunden davon bezahlt. Solche Verstöße gegen eine gerechte Entlohnung gehören durch das neue Gesetz der Vergangenheit an, so hoffe ich. Denn nun ist geregelt, dass die Betriebe eine elektronische Arbeitszeiterfassung einführen müssen. Diese Art von Lohnbetrug wird durch das Gesetz beendet.
Caritas in NRW: Die Einhaltung der Gesetze muss kontrolliert werden. Was muss weiter passieren, damit sich die Verhältnisse nachhaltig ändern?
Volker Brüggenjürgen: Wir hören häufig Berichte, dass die Beschäftigten angeschrien werden, schneller zu arbeiten, dass sie unwürdig behandelt werden, dass sie bei der Fleischzerlegung an den Bändern angetrieben und gehetzt werden. Solche brutalen Arbeitsbedingungen verändern sich ja nicht von heute auf morgen, wenn weiter die gleichen Vorarbeiter wie vorher da sind. Die wurden natürlich auch übernommen. Dieser immense Druck bei Schlachtung und Zerlegung bleibt trotz neuem Gesetz erst einmal. Aber dadurch dass die Beschäftigten jetzt normale Arbeitsverträge haben, werden sie in Zukunft ihre Rechte auch durchsetzen können. Das war bisher nicht der Fall, weil sie aufgrund der Koppelung von Bett und Werkvertrag völlig abhängig von den Subunternehmern waren.
Caritas in NRW: Was tun Sie als Caritas, um den Menschen zu helfen?
Volker Brüggenjürgen: Wir als Caritasverband Gütersloh haben seit 2016 Beratungsangebote für die Menschen hier in der Region eingeführt, die völlig unabhängig von kommunalen und Unternehmensmitteln allein durch kirchliche Mittel finanziert worden sind. Wir haben mittlerweile mehr als 12000 Beratungsgespräche geführt, mehr als 1000 Familien in unseren Beratungsdiensten erreichen können. Eben deswegen haben wir ein sehr gutes Gesamtbild, wie es diesen Armutsmigranten geht. Das ist ein Teil unserer Hilfe. Natürlich haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und - auch öffentlich sehr wirksam - angeprangert, dass diese extreme Form der Ausbeutung von Menschen aufhören muss. Ich glaube, dass wir als Kirche - und da muss man auch noch Peter Kossen nennen - unseren Beitrag geleistet haben, um diese skandalösen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu beenden.
Caritas in NRW: Haben Sie Rückhalt in der Politik und genug Bündnispartner, um dieses Anliegen weiterzuverfolgen?
Volker Brüggenjürgen: Wir sind ja in Gütersloh als Ortscaritasverband aktiv und haben das Glück, dass hier sehr prominente Bundestagsabgeordnete ihren Wahlkreis haben. Ralph Brinkhaus (CDU), Britta Haßelmann (Grüne), Elvan Korkmaz-Emre (SPD) haben sich vor Ort bei uns sehr genau informiert. Wir sind uns ziemlich sicher, dass sie unsere Erkenntnisse über soziale Missstände auch in ihre Fraktionen getragen haben und sich auch in der Bundespolitik dafür eingesetzt haben, diese Missstände endlich zu beenden.
Das Interview führte Markus Lahrmann.
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