"Fleischindustrie pervertiert das System Werkvertragsarbeit"
So informierten sich die Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, Britta Haßelmann (Bielefeld) und Maria Klein-Schmeink (Münster), jüngst bei der Caritas Gütersloh. Die Empörung war ihnen ins Gesicht geschrieben, als die Caritas-Beraterinnen von Schicksalen der Werkvertragsarbeiterinnen und -arbeiter berichteten.
Das Caritas-Beraterteam schilderte mehrere beispielhafte Fälle wie diesen: Elf Menschen - Erwachsene, Kinder, Säuglin-ge - hausen auf engstem Raum in einer 80-Quadratmeter-Wohnung. Privatheit? Fehlanzeige! Aggression und Gewalt? Eher die Regel! Erst recht, wenn der Frust im Alkohol ertränkt wird. Die Wohnung ist miserabel isoliert, kann im Winter nur mühevoll mit einem Heizlüfter auf etwas über 15 Grad geheizt werden. Die Folge: Stromnachzahlungen in satter vierstelliger Höhe.
Ausgebeutete Armutsmigranten
Caritasvorstand Volker Brüggenjürgen informierte darüber, dass mittlerweile gut 20.000 Werkvertragsarbeiter und deren Angehörige im Kreis Gütersloh wohnen - allein 5.000 in Rheda-Wiedenbrück. Die aus Polen, Rumänien, Bulgarien und Mazedonien stammenden Arbeiterinnen und Arbeiter verdienen laut Brüggenjürgen in ihren Heimatländern oft nur 200 bis 400 Euro. Dieses Armutsgefälle werde systematisch ausgenutzt: Die Billigkräfte würden durch Subunternehmer angeworben und als Arbeiter zweiter Klasse in der deutschen Fleischindustrie eingesetzt. Zwar verdienten sie hier mehr Geld als in der Heimat, leben und arbeiten laut Caritas aber unter maximal belastenden Bedingungen.
Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, sprach sich vehement dafür aus, solche Fälle öffentlich zu machen. Zustimmendes Nicken auf der Caritas-Seite. Schließlich sind es vor allem die Kinder, die als Leidtragende in einem von Enge und Überlastung geprägten Beziehungschaos groß werden. Der Caritas sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen Kinder in Kitas und Schulen Verhaltensauffälligkeiten zeigen oder total isoliert sind.
Seit 2016 bietet der Caritasverband für den Kreis Gütersloh eine muttersprachliche Beratung an, die den zumeist aus Südost- und Osteuropa zugewanderten Werkvertragsarbeiter-Familien zu mehr Integration und besseren Lebensbedingungen verhelfen soll. Angesiedelt ist das Projekt im Kreisfamilienzentrum Herzebrock, wo sich die beiden Politikerinnen mit dem Caritas-Team trafen.
Haßelmann und Klein-Schmeink, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag ist, machten deutlich, dass solche Gespräche mit Informationen aus erster Hand für ihre Arbeit als Politikerinnen immens wichtig seien. Für Klein-Schmeink war nach dem Treffen klar, dass es "nicht hinnehmbar" sei, wie die Fleischindustrie im Kreis Gütersloh mit Menschen umgehe: "Das hebelt zentrale Rechtsprinzipien für unser Sozialwesen aus und stellt die Grundlagen des Zusammenlebens vor Ort vor enorme Herausforderungen."
Caritas-Beratung ist wichtig!
Britta Haßelmann sagte, die Politik sei gefordert, das Thema auf allen politischen Ebenen immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, bis die Integration der Betroffenen besser gelinge.
Beide Politikerinnen betonten mehrfach, wie wichtig hier die Arbeit der Caritas-Beratungsstelle sei. Einig waren sie sich mit Caritasvorstand Volker Brüggenjürgen darin, dass der "Missbrauch des Instruments Werkvertragsarbeit" durch die heimische Fleischindustrie eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt darstelle. Die Werkvertragsarbeit sei für etwas ganz anderes erfunden worden, so Volker Brüggenjürgen, nämlich für die Herstellung eines Werkes und nicht für die Erledigung von Routine arbeiten durch maximal ausgebeutete ausländische Armutsmigranten. Die von der Fleischindustrie herbeigeführte "Pervertierung des Systems" gehöre abgeschafft. "Und das geht nur auf Bundes- oder auf europäischer Ebene."