Soziale Gerechtigkeit ist kein Zufall
Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Danach fragte die Bertelsmann-Stiftung vor einiger Zeit in einer Studie. Im Ergebnis steht da ein niedriges Armutsrisiko ganz vorn neben dem Wunsch nach einem hohen Bruttoinlandsprodukt und einem urbanen Lebensumfeld mit einer guten Altersverteilung in der Bevölkerung. In Regionen, in denen diese Kriterien erfüllt sind, ist der Gemeinsinn am höchsten.
Dabei ist es nicht der "Wohlstand für alle", der den Zusammenhalt sichert, weil es so vielen Menschen gut geht. Wichtig ist vor allem das Vertrauen darauf, dass es im Wesentlichen sozial gerecht zugeht. Wo die Zustände Karrieren und persönliche Lebensentwürfe zerstören, da helfen allgemeine Wohlstandsphilosophien nicht weiter; die betroffenen Menschen fühlen sich abgehängt, sie empfinden ihre Situation als ungerecht und verlieren ihre Hoffnungen in das politische System.
Das Vertrauen in eine verlässliche soziale Gerechtigkeit hat eine hohe subjektive Komponente. Es geht also um eine persönlich wahrgenommene Gerechtigkeit, die deutlich mehr als das ökonomische Auskommen betrifft. Genau das macht dieses Feld so anfällig für Populisten und Vereinfacher mit ihren plumpen Behauptungen. Genau wie Armut ist auch soziale Gerechtigkeit kein Zufall, der den einen trifft und den anderen vielleicht nicht. Beides hat viel mit mangelnder politischer Entschiedenheit und falscher Prioritätensetzung zu tun - und ist damit politisch veränderbar.
Armut ist heilbar, soziale Gerechtigkeit durchsetzbar - das ist die Botschaft der Wahlprüfsteine der Wohlfahrtsverbände in NRW. Dahinter steht ein Instrumentenkasten aus Positionen und Forderungen, deren Einlösung zu einer sozial gerechteren Politik beiträgt. Die politischen Parteien und ihre Kandidatinnen und Kandidaten müssen sich zu diesen Forderungen positionieren. Daran wird zu messen sein, wie ernst sie es meinen mit dem sozialen Zusammenhalt in unserem Bundesland der Vielfalt.
Diese Vielfalt kennzeichnet uns längst und steht dem gesellschaftlichen Zusammenhalt keineswegs im Weg, im Gegenteil: Sie fördert ihn sogar - auch das steht in der Bertelsmann-Studie. In den Bundesländern mit den höchsten Ausländeranteilen halten die Bürger am engsten zusammen und setzen sich füreinander ein. Diese Erkenntnis widerspricht den einschlägigen populistischen Parolen.