Verschärfung statt Vereinfachung
Als lebensfern sieht die Caritas die geplante Neuregelung an, künftig das Sozialgeld tageweise danach zu berechnen, wo sich das Kind aufhält. "Dann stellt sich für Alleinerziehende die Frage, ob sie sich den Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil - in der Regel ist dies der Vater - überhaupt noch leisten können", befürchtet Kessmann. Neun Euro pro Tag sieht das Sozialrecht für ein Kind im Alter von sechs bis neun Jahren vor. Verbringt es zwei Wochenenden im Monat beim anderen Elternteil, müsste der alleinerziehende Elternteil - in der Regel ist dies die Mutter - eine Kürzung von 36 Euro verkraften, obwohl alle laufenden Kosten wie Kleidung, Versicherungen oder Vereinsbeiträge weiterhin bei ihr anfallen. Werde diese neue Regelung tatsächlich eingeführt, widerspreche dies auch dem Bemühen, dass sich weiterhin beide Elternteile um das Kind kümmern. "In unseren Beratungsstellen wird viel Zeit darauf verwandt, getrennt lebende Paare trotz aller Differenzen davon zu überzeugen, dass dies wichtig für ihr Kind ist", erklärt Kessmann. Stattdessen fordert die Caritas ein Umgangsgeld zum Ausgleich des finanziellen Mehrbedarfs für den Elternteil, bei dem sich das Kind nur zeitweise aufhält.
"Was als Rechtsvereinfachung gestartet ist, wird wohl eine Rechtsverschärfung werden", kritisiert auch der Sozialexperte Christoph Eikenbusch vom Diözesan-Caritasverband Paderborn. So werde die rechtliche Stellung von Hartz-IV-Empfängern unzumutbar geschwächt. Die sollen auch dann keine Nachzahlungen erhalten, wenn das Bundessozialgericht eine falsche Berechnung von Leistungen seitens der regionalen Jobcenter feststellt. "Ein Unding", sagt Christoph Eikenbusch. Ebenso lehnt die Caritas ab, dass ältere langzeitarbeitslose Menschen künftig gegen ihren Willen verrentet werden können. Viele müssten dann aufgrund ihrer Erwerbsbiografie weitere Abschläge der häufig sowieso viel zu geringen Rente hinnehmen. "Leider werden die Gesetzesänderungen auch nicht dazu führen, dass sich die Zahl der auf Hartz-IV-Leistungen angewiesenen Kinder und Eltern verringert", kritisiert Eikenbusch. "Das Rechtsvereinfachungsgesetz hätte zumindest in Ansätzen zu einer grundlegenden Verbesserung beim Abbau der Armut junger Menschen führen können. Der Sozialstaat versäumt es, jungen Menschen eine Chance zu geben, obwohl er in Zukunft auf diese angewiesen ist."