"Auch die Behörden müssen umdenken"
Seit kurzem Flüchtlingsbeauftragte beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln: Heike Lammertz-BöhmDiCV Köln
Caritas in NRW: Deutschland ist ein Zufluchtsland geworden. Gefordert ist eine "Willkommenskultur für Flüchtlinge". Was geschieht konkret in den kirchlichen Gemeinden?
Heike Lammertz-Böhm: Schon seit fast einem Jahr melden sich insbesondere bei den Caritasverbänden und ihren Fachdiensten für Integration und Migration immer mehr hilfsbereite Menschen, die etwas für Flüchtlinge tun wollen. Die Aktion "Neue Nachbarn" im Erzbistum Köln und der Aufruf von Kardinal Woelki an die Pfarrgemeinden, ganz konkret zur Willkommenskultur für Flüchtlinge beizutragen, haben noch einmal ein kaum erhofftes und schon gar nicht erwartetes großes Echo ausgelöst. Die Palette an Angeboten und Unterstützungsideen von den Pfarrgemeinden und Ehrenamtlichen aus ihrem Umfeld ist breit. Das geht von angebotenen Mietwohnungen über Kleider- und Spielzeugspenden zu verschiedensten, z. T. sehr beeindruckenden Projekten.
Maßnahmen, die den Flüchtlingen den Alltag und die Eingewöhnung erleichtern, können durch den Soforthilfefonds des Erzbistums von einer Million Euro realisiert werden. Bis Weihnachten wurden bereits ca. 50 Anträge gestellt mit einem Antragsvolumen von fast 600000 Euro. Täglich gehen weitere Anträge ein.
Caritas in NRW: Was ist derzeit am wichtigsten für die Flüchtlinge?
Heike Lammertz-Böhm: Akzeptables Wohnen, Deutsch-Lernen, Kita/Schule für die Kinder, Ausbildungs- und Jobsuche, medizinische Versorgung, sinnstiftende Freizeitangebote, manchmal nur der Internetanschluss, um mit der Heimat skypen zu können. Bei den Neuankömmlingen ist es häufig der Wunsch, erst einmal zu sich zu kommen und Ruhe zu finden.
Caritas in NRW: Und wie wird ihnen dabei geholfen?
Heike Lammertz-Böhm: Es entwickeln sich für alle Bereiche Ideen und Ansätze. Da sind Hilfsbereite manchmal schon sehr kundig und clever, andere lernwillig und dankbar für Anregungen, manche sind sogar ausgesprochen kreativ. Wichtig ist bei aller guten Absicht: Nicht die Helfenden wissen, was für die Flüchtlinge gut ist, sondern die Flüchtlinge wollen und sollen gefragt werden. Dann wird klarer, was geht und was nicht, und es erspart allen Beteiligten bittere Enttäuschungen durch Auseinanderfallen von individueller Not und vorgestanzter Hilfe.
Caritas in NRW: Welche ehrenamtlichen Projekte haben Sie besonders beeindruckt?
Heike Lammertz-Böhm: Die Idee einer Pfarrgemeinde, am Übergangswohnheim gemeinsam mit Flüchtlingen und durch Unterstützung von Handwerkern einen Fahrradunterstand zu bauen, damit Fahrräder der Flüchtlinge ordentlich abgestellt werden können. Die gemeinsame Arbeit fördert den Kontakt zwischen Flüchtlingen und Bürgern in Neunkirchen-Seelscheid. Oder die Initiative des Freundeskreises Erkrath in Kooperation mit der Gemeinde St. Franziskus: Hier begleiten Ehrenamtliche, die die Sprache von Flüchtlingen sprechen, Frauen zu Arztterminen.
Caritas in NRW: Wo hemmen die Bürokratie und die Gesetzeslage die konkrete Hilfe? Wo wünschen Sie sich mehr Unterstützung durch die Politik?
Heike Lammertz-Böhm: Dass die Gesundheitsversorgung im Asylbewerberleistungsgesetz nach wie vor nicht über die gesetzliche Krankenversicherung geregelt, sondern auf Behandlung im Notfall und bei Schmerzzuständen begrenzt ist, sollten wir nicht hinnehmen. Ein zweites dickes Problem ist die sogenannte Verpflichtungserklärung, mit der Flüchtlinge nach Deutschland geholt werden können, die Angehörige hier haben. Sie verpflichtet zur Übernahme der Kosten für Unterbringung und Lebensunterhalt ohne zeitliche oder finanzielle Begrenzung. Das setzt die hier lebenden Angehörigen unter enormen moralischen und finanziellen Druck. Ganz generell darf man nicht vergessen, dass über mehr als zwei Jahrzehnte eine latente Abschreckungsstrategie das behördliche Handeln gesteuert hat. Da kann und will die Aktion "Neue Nachbarn" auch bei den Behörden zu einem Umdenken ermutigen.
Infos unter www.aktion-neue-nachbarn.de