Stellungnahme der Werkstatträte von Büngern Technik
An die Damen und Herren der AFD - Fraktion im Bundestag
Guten Tag,
mit großem Entsetzen und Bestürzung haben wir Ihre "Kleine Anfrage" im Bundestag zum Thema "Schwerbehinderte in Deutschland" aufgenommen. Sie fragen die Bundesregierung darin nach der Zahl der schwerbehinderten Menschen in Deutschland und danach, wie sich diese Zahl in den Jahren 2012 bis 2017 entwickelt hat. Wir verstehen nicht, wozu dieses Wissen dient und wichtig ist. Das geht aus Ihrer "Kleinen Anfrage" leider nicht hervor. Ebenso ist für uns vollkommen unverständlich, warum diese Informationen auch noch nach Jahren und Altersgruppen aufgeschlüsselt werden müssen.
Dafür haben wir vielleicht eine Antwort auf Ihre Frage, was die Hauptursachen für Schwerbehinderungen sind. Ursachen von Behinderungen gibt es viele. Manchmal liegen Ursachen von Behinderungen in medizinischen Fehlern begründet, manchmal ist ein Unfall oder eine Krankheit Ursache für eine Behinderung und manchmal werden Behinderungen vererbt. Wir wissen nicht, warum es für Sie wichtig ist, die Hauptursachen zu erfahren und wissen zu wollen, ob es eine Verlagerung der Ursachen gegeben hat oder gibt. Für uns ist der Grund unserer Einschränkungen zweitrangig. Wir haben uns das nicht ausgesucht, aber wir leben damit. Und wir finden es erschreckend, dass Sie in Ihrer "Kleinen Anfrage" ganz gezielt nach der Zahl der Behinderungen fragen, die in Heiraten innerhalb der Familie liegen und dort auch noch einen besonderen Zusammenhang mit Menschen mit Migrationshintergrund herstellen. Sie behaupten dadurch, dass Handicaps bei Menschen mit Migrationshintergrund vor Allem durch Heirat innerhalb der Familie begründet sind. Aber wir sind sicher, dass auch bei Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, die Gründe für körperliche und geistige Einschränkungen sehr verschieden sind. Dabei ist es auch egal, ob die Menschen, die hier bei uns leben, einen deutschen Pass besitzen oder nicht. Sie sind Menschen wie wir und sie haben dieselben Schwierigkeiten wie wir.
Sie werfen uns jetzt vielleicht vor, keine Ahnung zu haben. Sicherlich haben wir von Politik nicht so viel Ahnung wie Sie. Dafür haben wir umso mehr Ahnung von Schwerbehinderung. Wir sind Betroffene. In dreifachem Sinne. Wir sind alle Menschen, die von einer Einschränkung betroffen sind und wir sind von Ihrer Anfrage betroffen, weil wir "gezählt" werden. Und zum Dritten macht uns Ihre Anfrage menschlich betroffen. Wir wollen nicht in Übersichten und Listen erfasst und gezählt werden und wir wollen nicht, dass andere Menschen darüber entscheiden, ob unser Leben gut und lebenswert ist oder nicht. Das können wir selbst.
Die Gründe für unsere Handicaps sind vielfältig und machen sicher auch einen Teil unserer Persönlichkeiten aus. Aber eben auch nur einen Teil. Den weit größeren Teil machen unsere Fähigkeiten, Werte und Gefühle aus. Wir sind fröhlich, freundlich, offen anderen Menschen gegenüber, sportlich, kreativ, humorvoll; manchmal auch wütend oder traurig. Wir verlieben uns und heiraten oder leben in Beziehungen, führen ein eigenes Leben und haben Freunde und Familie, die uns wichtig sind und um die wir uns kümmern. Darin unterscheiden wir uns ganz sicher nicht von Ihnen.
Und es gibt zum Glück viele Menschen in unseren Leben, die uns nicht auf unsere Handicaps reduzieren. Sie sehen nicht unsere Einschränkungen, obwohl diese manchmal offensichtlich sind und sie selbst vielleicht keine haben. Sie sehen unsere Persönlichkeiten. Mit Stärken und Schwächen, wie jeder Mensch sie hat.
Wir wünschen uns, von allen Menschen so wahrgenommen zu werden. So, wie jeder andere auch wahrgenommen werden will, ohne auf ein bestimmtes Merkmal beschränkt zu werden.
Wir möchten Sie daher einladen, sich für einen Moment vorzustellen, wie es ist, mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung zu leben. Was würde Sie tun, wenn Sie im Rollstuhl sitzen und in den Supermärkten nicht an die Regale kommen oder ohne Hilfe die Bahn nicht erreichen? Und welche Entscheidung würden Sie treffen, wenn Ihr Kind mit einem Handicap zur Welt käme? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie, so wie wir, von Ihrer Anfrage betroffen wären? Wenn sie erfasst und gezählt würden, ohne den Grund dafür zu kennen? Und das auch nur deshalb, weil Sie ein bestimmtes Merkmal erfüllen oder an sich tragen, welches Sie sich selbst gar nicht ausgesucht haben?
Wir wünschen Ihnen, niemals wirklich in unsere Situation zu geraten und am eigenen Leib erfahren zu müssen, wie es ist, mit einem Handicap zu leben. Denn jeder Mensch kann jederzeit in diese Situation kommen.