Krefeld - Einen offeneren Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen fordert die Caritas in NRW. "Unsere Gesellschaft steht vor der Herausforderung, das Recht auf soziale Teilhabe auch für Menschen mit Demenz durchzusetzen", sagte der Aachener Diözesan-Caritasdirektor Burkard Schröders am Mittwoch in Krefeld. Er rief dazu auf, Demenz nicht nur als Krankheit zu betrachten. "Nach christlicher Überzeugung sind Menschen mit Demenz genauso Ebenbild Gottes wie jeder von uns", sagte er vor rund 100 Wissenschaftlern, Pflegemitarbeitern und Verantwortlichen aus Kirche und Verbänden auf einer Fachtagung der Caritas in NRW. "Sie gehören mitten in die Gesellschaft, das Thema darf nicht verschwiegen werden", betonte Schröders.
In ihrem Grußwort zu Beginn der Fachtagung wies NRW-Gesundheits- und Pflegeministerin Barbara Steffens (Grüne) darauf hin, dass der Umgang mit Demenz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei.
"Wir müssen lernen, Demenzerkrankte so zu nehmen, wie sie mit ihrer Erkrankung sind. Wichtig dafür sind eine neue Sensibilität und auch eine neue Kultur der Achtsamkeit. Menschen mit Demenz gehören zu uns, mitten in unser Leben und nicht in gesonderte Einrichtungen wie Demenzdörfer. Sie brauchen Respekt, Wertschätzung, Nähe, Zuwendung und Solidarität", sagte Ministerin Steffens. In der Versorgung von Demenzerkrankten setze sich Nordrhein-Westfalen schon seit Jahren unter anderem durch die finanzielle Förderung der bundesweit einmaligen Demenz-Service-Zentren für Betroffene und eine Unterstützung pflegender Angehöriger ein. "Wir wollen Bedingungen schaffen, die in möglichst vielen Bereichen - wie etwa Wohnen, Versorgung, Infrastrukturen im Quartier und gesellschaftliche Teilhabe - ein bestmögliches Leben mit Demenz ermöglichen", so Steffens.
Diözesan-Caritasdirektor Schröders forderte ein Umdenken in der Gesellschaft. "Demente Menschen sind anders, und Andersartigkeit irritiert", sagte er. "Ich glaube, wir können von Menschen mit Demenz lernen, authentisch zu sein." Verhalten Dementer, das auf den ersten Blick befremdlich sei, sei nichts anderes, als eine ungefilterte Äußerung ihrer momentanen Gefühlslage. Der Caritasdirektor sprach sich auch für mehr Unterstützung der Angehörigen aus. Derzeit würden mehr als 80 Prozent der an Demenz Erkrankten zuhause gepflegt und betreut - meist von Angehörigen oder einem ambulanten Pflegedienst. Angesichts der zu erwartenden demografischen Entwicklung sei ein Ausbau des Hilfsnetzes immer wichtiger; allein in Nordrhein-Westfalen gingen Experten von einem Anstieg der Zahl der Demenzkranken von jetzt 300.000 auf 450.000 in 15 Jahren aus.
Doch innerhalb der Gesellschaft gibt es noch zahlreiche Hemmnisse, damit Demenz nicht länger nur als Krankheit betrachtet wird. Das wurde auch bei der anschließenden Podiumsdiskussion deutlich. So fällt es ambulanten Pflegediensten schwer, pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz zu überzeugen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Sie wollen es nicht", berichtete Marion Peters, Leiterin der Abteilung Gesundheit und Pflege beim Caritasverband für die Region Heinsberg, von ihren Erfahrungen.
Professor Dr. Hans-Georg Nehen, der frühere Leiter des Geriatrie-Zentrums Haus Berge, sagte, dieses Phänomen hänge mit der Diagnose Demenz zusammen. Betroffene wollten alles vermeiden, was ihre Situation ändere. Denn Veränderungen schafften Unsicherheit und verschlechterten den Zustand. Was Menschen mit Demenz bräuchten sei eine exakte Diagnose und eine einfühlsame Begleitung. Um das sicherzustellen seien sowohl Fachpersonal als auch Zivilgesellschaft gefordert.
Hans-Georg Liegener, Vorstand des Caritasverbandes für die Region Krefeld e.V. und Trägervertreter der Krefelder Caritasheime gGmbH, sagte, wenn Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen gut versorgt werden sollen, müssten Strukturen und Haltung in den Pflegeeinrichtungen stimmen. Wer sicherstellen wolle, dass Menschen mit Demenz auch weiterhin von Angehörigen betreut werden könnten, komme aber um ein gewisses Maß an Fachlichkeit nicht herum.
Jürgen Spicher vom Caritasverband für das Bistum Aachen, der die Fachgruppe Stationäre Altenhilfe der Caritas in NRW leitet, sagte, Verbände wie die Caritas müssten mit dafür sorgen, dass das Thema Umgang mit Demenz in der Gesellschaft kein Fernthema bleibe. Es müsse gelingen, Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen einen Platz in der Öffentlichkeit zu geben. An ihren Bedürfnissen orientiert müssten Lösungen gefunden werden. Dazu gehöre auch eine zugehende Beratung, die Betroffenen und ihren Angehörigen Hilfe anbiete.
Gaby Schnell, Vorstandsvorsitzende des Landesseniorenvertretung NRW, sagte, je mehr die Demenz in der Öffentlichkeit präsent sei, desto einfacher werde der Umgang damit. "Ich verliere die Angst vor Unbekanntem", sagte Schnell.
Rund 1,5 Millionen Menschen sind heute in Deutschland an Demenz erkrankt (Zahlen von 2014). Jährlich erkranken 300.000 Menschen neu, wodurch die Gesamtzahl an Menschen mit Demenz jährlich um ca. 40.000 zunimmt (Differenz Neuerkrankungen zu Sterbefällen).
Mit ihrer Fachtagung "Daheim und unterwegs - was Menschen mit Demenz brauchen" hat die Caritas in NRW die Haltung gegenüber Menschen, die an Demenz erkrankt sind, thematisiert und über notwendige gesellschaftliche und leistungsrechtliche Rahmenbedingungen für ihren Lebensalltag und die Begleitung gesprochen.
Die Fachtagung wird am 2. Dezember 2015 in Schwerte wiederholt. Infos, Materialien und Anmeldung unter diesem Link.