"Wer Milliarden-Einsparungen beim Bürgergeld verspricht, weckt falsche Erwartungen und lenkt ab von den echten Baustellen des Sozialstaats", sagt Dominique Hopfenzitz für die Caritas in NRW
"Die zentralen Stellschrauben für eine Reform liegen nicht bei den Ärmsten, sondern bei den Strukturen", betont Hopfenzitz. Nötig sei eine Reform der Verwaltungsstrukturen, mehr Pauschalierungen statt Einzelfallbürokratie und ein starker Fokus auf Arbeitsmarktintegration. "Wer Milliarden einsparen will, muss den Sozialstaat effizienter machen - nicht Menschen an den Pranger stellen, die ohnehin am Limit leben", sagt Hopfenzitz, der Diözesan-Caritasdirektor in Münster ist.
Von den rund 5,3 Millionen Menschen im Bürgergeld sei fast ein Drittel gar nicht erwerbsfähig, darunter viele Kinder. Fast die Hälfte der Erwachsenen sei zwar leistungsberechtigt, aber nicht als arbeitslos registriert, weil sie krank sind, Angehörige pflegen, Kinder erziehen, in Ausbildung und Integrationskursen stecken. Oder sie arbeiten und verdienen so wenig, dass sie aufstockendes Bürgergeld erhalten. "Hunderttausende leisten also schon jetzt ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlergehen - trotz schwieriger Umstände", so der Caritasdirektor.
Die Gruppe der Arbeitslosen bestehe zur Hälfte aus Langzeitarbeitslosen (mehr als eine Million Menschen). Hier brauche es gezielte Förderung durch Tagesstruktur, Qualifizierung und Begleitung - keine populistischen Kürzungsdebatten. Denn die sogenannten "Totalverweigerer" machten nur unter einem Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden aus. Härtere Sanktionen könnten deshalb bei erheblichem Verwaltungsaufwand nur wenig einsparen - weit entfernt von den Milliardenbeträgen, die politisch in Aussicht gestellt werden.
Die Caritas in NRW fordert stattdessen:
- Investitionen in Arbeitsmarktintegration, damit der Übergang in Beschäftigung gelingt.
- Höhere Mindestlöhne, damit Arbeit vor Armut schützt.
- Bildungs- und Sprachangebote, insbesondere für junge Leistungsbeziehende.
- Vereinfachung der Verwaltungsprozesse.
- Den Aufbau einer Solidarversicherung, in die alle Einkommensarten einbezogen werden.
"Mit Kürzungsrhetorik lassen sich keine nachhaltigen Reformen gestalten. Wer den Sozialstaat zukunftsfest machen will, braucht eine Gesamtstrategie, muss investieren, vereinfachen und Teilhabe ermöglichen", unterstreicht Hopfenzitz.
Der Caritasdirektor warnt auch aus einem anderen Grund vor einer fehlgeleiteten Sozialstaatsdebatte: "Wer falsche Erwartungen in die Gesellschaft einstreut, wird sich an den Ergebnissen messen lassen müssen. Polemik bei Armut kann unsere Demokratie nachhaltig beschädigen, da Vertrauen in die Problemlösungskompetenz von Parteien weiterhin zerrüttet wird", so Hopfenzitz.
Hintergrundinformationen:
Zahlen im Überblick (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, August 2025)
Regelleistungsberechtigte gesamt: 5,323 Mio.
- Nicht erwerbsfähig (v. a. Kinder): rund 1,44 Mio.
- Erwerbsfähig: rund 3,93 Mio.
Struktur der Erwerbsfähigen:
- 1,8 Mio. arbeitslos (davon 1,05 Mio. langzeitarbeitslos)
- 2,15 Mio. nicht arbeitslos, darunter
- 413.000 bereits erwerbstätig ("Aufstocker")
- 433.000 in Schule oder Ausbildung
- 462.000 in Integrationskursen oder Maßnahmen
- 268.000 in Erziehung/Pflege gebunden
- 247.000 krankgeschrieben
"Totalverweigerer": unter 1 % der erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden; Sanktionen im Schnitt 62 € pro Monat.
Finanzen:
- Bundeshaushalt 2025: 44,96 Mrd. Euro Grundsicherung + 11 Mrd. Euro Unterkunftskosten
- Einsparziel 5 Mrd. Euro entspricht 11 % des Gesamtvolumens - ohne massive Kürzung von Regelsätzen oder Wohnkosten nicht erreichbar.