Sippenhaft im Sozialrecht?
In unserer Rechtsordnung gilt das strafrechtlichen Schuldprinzip, auch die zivilrechtliche Verschuldenshaftung setzt eine persönliche Vorwerfbarkeit voraus.
Manchmal staunt man aber über seltsame Rechtsvorschriften wie in dem folgenden Fall:
Frau T., 75 Jahre alt, lebt in einer westfälischen Kleinstadt. Eines Tages wird sie von der Stadtverwaltung einer nahe gelegenen Ruhrgebietsstadt aufgefordert, die Kosten der Sozialbestattung ihres Halbbruders, geboren 1943 in eben dieser Stadt, in Höhe von rund 1300 Euro zu erstatten. Der Witz an der Sache: bis dahin weiß Frau T. nicht einmal, dass sie einen Halbbruder hat. Warum, so fragt sie sich, soll sie als Tochter für eine Jugendsünde des Vaters (vielleicht ein Ehebruch?) haften, die dieser lebenslang verheimlicht hatte.
Tatsächlich kann sich das Sozialamt auf einschlägige Gesetzesvorschriften stützen. Regelungen im Bestattungsgesetz NRW und die dazu ergangene Rechtsprechung sehen vor, dass ein Kind allein deshalb, weil es von seinem Vater gezeugt wurde, auch für die Bestattungskosten aller anderen vom Vater gezeugten Kinder haftet. Bei Ausnahmen sei ein sehr strenger Maßstab anzulegen. So reichen "kein Geld" oder "wir hatten keinen Kontakt" keinesfalls aus, um eine unbillige Härte anzunehmen. Die bisherige Rechtsprechung verlangt unisono, dass gezahlt werden muss, auch wenn über Jahrzehnte hinweg nie eine persönliche Beziehung bestanden hat. (Ähnliche Entscheidungen betreffen Fragen zu Unterhalt oder Erbschaftsstreitigkeiten, wenn beispielsweise ein bislang unbekannter Halbbruder auftaucht und sein Erbteil verlangt.)
Was tun bei Sippenhaft? Natürlich steht den Betroffenen der Klageweg offen. Wenn man sich das zumuten will. Frau T hat übrigens gezahlt. Sie wollte sich in ihrem Alter nicht den wahrscheinlich langen Gang durch die Instanzen zumuten.