Vertrauliche Geburt
Bundesgesetzblatt I, 2013 S. 3458
Übersicht
1. Beratung zur vertraulichen Geburt
1.1 Gegenstand der Beratung
1.2 Beratungsstellen und Formen der Beratung
2. Verfahren der vertraulichen Geburt (§ 26)
2.1 Wahl eines Pseudonyms
2.2 Sicherung der Angaben zur Identitätsfeststellung
2.3 Anmeldung zur Entbindung
2.4 Informationspflichten des Jugendamts, des Leiters der Einrichtung der Geburtshilfe
und des Standesamts
2.5 Nachrichten der Frau an das Kind
2.6 Schweigepflicht gegenüber Eltern
3. Umgang mit dem Herkunftsnachweis (§ 27)
4. Beratung in Einrichtungen der Geburtshilfe oder bei Hausgeburten
(§ 29)
5. Beratung nach der Geburt des Kindes (§ 30)
6. Einsichtsrecht des Kindes in den Herkunftsnachweis (§ 31)
7. Familiengerichtliches Verfahren (§ 32)
8. Rechte des Vaters
8.1 Widerspruch des Vaters gegen eine Adoption
8.2 Aufhebung der Adoptio
1. Beratung zur vertraulichen Geburt
Aufgabe aller Schwangerschaftsberatungsstellen ist es, Schwangeren mit dem Wunsch nach Anonymität umfassende Hilfen und Beratung anzubieten, um die Konflikte, welche den Wunsch nach Anonymität hervorrufen, zu lösen. Die Beratung hat deshalb das vorrangige Ziel, der Schwangeren eine medizinisch betreute Entbindung zu ermöglichen und Hilfestellung anzubieten, so dass sie sich für ein Leben mit dem Kind entscheiden kann.
Nur wenn keine Lösung gefunden werden kann, soll es zur vertraulichen Geburt kommen. Vertrauliche Geburt ist eine Entbindung, bei der die Schwangere ihre Identität zunächst nicht offenlegt, aber Angaben zur Person macht, die später dem Kind zugänglich sind.
1.1 Gegenstand der Beratung
Die Beratung umfasst insbesondere:
- die Information über den Ablauf des Verfahrens und die Rechtsfolgen einer vertraulichen Geburt,
- die Information über die Rechte des Kindes; dabei ist die Bedeutung der Kenntnis der Herkunft von Mutter und Vater für die Entwicklung des Kindes hervorzuheben,
- die Information über die Rechte des Vaters,
- die Darstellung des üblichen Verlaufs und Abschlusses eines Adoptionsverfahrens,
- die Information, wie eine Frau ihre Rechte gegenüber ihrem Kind nach einer vertraulichen Geburt unter Aufgabe ihrer Anonymität geltend machen kann.
Durch diese Informationen soll die Bereitschaft der Schwangeren gefördert werden, dem Kind möglichst umfassend Informationen über seine Herkunft und die Hintergründe seiner Abgabe mitzuteilen.
Lehnt die Frau eine vertrauliche Geburt ab, so ist sie darüber zu informieren, dass ihr das Angebot der anonymen Beratung und Hilfen jederzeit weiter zur Verfügung steht.
1.2 Beratungsstellen und Formen der Beratung
Schwangere in psychosozialen Konfliktlagen haben bundesweit die Möglichkeit, sich per Einzel-Chat oder per E-Mail von einer Beraterin - auf Wunsch auch anonym - beraten zu lassen.
Auch Männer, Familienangehörige, Bekannte oder Freunde werden kostenfrei und auf Wunsch anonym beraten.
Telefon: 0800/4040020 und www.geburt-vertraulich.de
Die Beratung per Einzel-Chat findet zu einem Termin statt, der vorher gebucht werden muss. Freie Termine sind im Internet angegeben.
Bei der E-Mail-Beratung können Fragen gestellt werden, die vom Beraterinnen-Team beantwortet werden.
2. Verfahren der vertraulichen Geburt (§ 26)
Wünscht die Schwangere eine vertrauliche Geburt, wird die Vertraulichkeit in jeder Phase des Verfahrens gewährleistet.
2.1 Wahl eines Pseudonyms
Die Schwangere wählt zunächst
- einen Vor- und einen Familiennamen, unter dem sie im Verfahren der vertraulichen Geburt handelt (Pseudonym) und
- je einen oder mehrere weibliche und einen oder mehrere männliche Vornamen für das Kind.
2.2 Sicherung der Angaben zur Identitätsfeststellung
Die Beratungsstelle hat einen Nachweis für die Herkunft des Kindes zu erstellen. Dafür nimmt sie die Vornamen und den Familiennamen der Schwangeren, ihr Geburtsdatum und ihre Anschrift auf und überprüft diese Angaben anhand eines gültigen zur Identitätsfeststellung der Schwangeren geeigneten Ausweises.
Der Herkunftsnachweis ist in einem Umschlag so zu verschließen, dass ein unbemerktes Öffnen verhindert wird. Auf dem Umschlag sind zu vermerken: die Tatsache, dass er einen Herkunftsnachweis enthält, das Pseudonym, den Geburtsort und das Geburtsdatum des Kindes, der Name und die Anschrift der geburtshilflichen Einrichtung oder der zur Leistung von Geburtshilfe berechtigten Person, bei der die Geburt erfolgen soll, und die Anschrift der Beratungsstelle.
2.3 Anmeldung zur Entbindung
Mit dem Hinweis, dass es sich um eine vertrauliche Geburt handelt, meldet die Beratungsstelle die Schwangere unter deren Pseudonym in einer geburtshilflichen Einrichtung oder bei einer zur Leistung von Geburtshilfe berechtigten Person zur Entbindung an. Diese Einrichtung oder Person kann die Schwangere frei wählen. Die Beratungsstelle teilt bei der Anmeldung die von der Schwangeren gewählten Vornamen für das Kind mit.
2.4 Informationspflichten des Jugendamts, des Leiters der Einrichtung
der Geburtshilfe und des Standesamts
Die Beratungsstelle teilt dem am Geburtsort zuständigen Jugendamt folgende Angaben mit: das Pseudonym der Schwangeren, den voraussichtlichen Geburtstermin und die Einrichtung oder die zur Leistung von Geburtshilfe berechtigte Person, bei der die Anmeldung zur Entbindung erfolgt ist. Die wahre Identität der Schwangeren erfährt das Jugendamt nicht.
Das Kind wird nach der Geburt vom Jugendamt in Obhut genommen. Es wird unter einem behördlich festgelegten Namen in das Geburtsregister des Standesamts aufgenommen und erhält einen Vormund. Die elterliche Sorge ruht.
Der Leiter oder die Leiterin der Einrichtung der Geburtshilfe, in der die Schwangere geboren hat, teilt der Beratungsstelle unverzüglich das Geburtsdatum und den Geburtsort des Kindes mit. Das Gleiche gilt bei einer Hausgeburt für die zur Leistung von Geburtshilfe berechtigte Person.
Das Standesamt teilt dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben den beurkundeten Namen des Kindes zusammen mit dem Pseudonym der Mutter mit.
2.5 Nachrichten der Frau an das Kind (§ 26 Abs. 8)
Nachrichten der Frau an das Kind werden von der Beratungsstelle an die Adoptionsvermittlungsstelle weitergeleitet und dort in die entsprechende Vermittlungsakte aufgenommen; bei nicht adoptierten Kindern werden sie an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben weitergeleitet.
2.6 Schweigepflicht gegenüber Eltern
Alle an dem Verfahren der vertraulichen Geburt beteiligten Personen (in der Beratungsstelle, der Einrichtung der Geburtshilfe) und die zur Geburtshilfe berechtigten Personen unterliegen der Schweigepflicht. Diese besteht auch gegenüber den Eltern einer Minderjährigen; denn die gesetzlichen Regelungen zur vertraulichen Geburt sehen keine Altersbeschränkung.
Die Eltern dürfen nur dann informiert werden, wenn die betroffene Minderjährige ihre Einwilligung gegeben hat. Sie darf in keiner Weise gedrängt oder unter Druck gesetzt werden.
3. Umgang mit dem Herkunftsnachweis (§ 27)
Die Beratungsstelle übersendet den Umschlag mit dem Herkunftsnachweis an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zur sicheren Verwahrung, sobald sie Kenntnis von der Geburt des Kindes erlangt hat.
Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben vermerkt den vom Standesamt mitgeteilten Namen des Kindes auf dem Umschlag, der seinen Herkunftsnachweis enthält.
4. Beratung in Einrichtungen der Geburtshilfe oder bei
Hausgeburten (§ 29)
Der Leiter oder die Leiterin einer Einrichtung der Geburtshilfe, die eine Schwangere ohne Feststellung ihrer Identität zur Entbindung aufnimmt, hat unverzüglich eine anerkannte Beratungsstelle im örtlichen Einzugsbereich über die Aufnahme zu informieren. Das Gleiche gilt für eine zur Leistung von Geburtshilfe berechtigte Person bei einer Hausgeburt.
Die Beratungsstelle bietet der Schwangeren die Beratung zur vertraulichen Geburt und deren Durchführung unverzüglich durch eine Beratungsfachkraft persönlich an. Die Schwangere darf nicht zur Annahme der Beratung gedrängt werden. Diese Verpflichtung besteht auch nach der Geburt des Kindes.
5. Beratung nach der Geburt des Kindes (§ 30)
Der Mutter ist auch nach der Geburt des Kindes Beratung anzubieten. Dies gilt auch dann, wenn kein Herkunftsnachweis erstellt worden ist. Bis zum Abschluss eines Adoptionsverfahrens kann die Mutter das Kind zurücknehmen, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Die Beratungsstelle soll die Mutter über die Leistungsangebote für Eltern im örtlichen Einzugsbereich informieren.
6. Einsichtsrecht des Kindes in den Herkunftsnachweis
(§ 31)
Mit Vollendung des 16. Lebensjahres hat das vertraulich geborene Kind das Recht, den beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben verwahrten Herkunftsnachweis einzusehen oder Kopien zu verlangen (Einsichtsrecht).
Die Mutter kann Belange, die dem Einsichtsrecht entgegenstehen, ab der Vollendung des 15. Lebensjahres des Kindes unter ihrem Pseudonym bei einer Beratungsstelle erklären (z. B. Gefährdung ihrer Ehe). Sie hat dabei Geburtsort und Geburtsdatum des Kindes anzugeben. Die Beratungsstelle zeigt der Mutter Hilfsangebote auf und erörtert mit ihr mögliche Maßnahmen zur Abwehr der befürchteten Gefahren. Sie hat die Mutter darüber zu informieren, dass das Kind sein Einsichtsrecht gerichtlich geltend machen kann.
Bleibt die Mutter bei ihrer Ablehnung, so hat sie gegenüber der Beratungsstelle eine Person oder Stelle zu benennen, die sie im Falle einer familiengerichtlichen Verfahrens vertreten soll (Verfahrensstandschafter). Dieser darf die Identität der Mutter nicht ohne deren Einwilligung offenbaren.
Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben darf dem Kind bis zum rechtskräftigen Abschluss eines familiengerichtlichen Verfahrens keine Einsicht gewähren, wenn die Mutter eine ablehnende Erklärung abgegeben und einen Verfahrensstandschafter benannt hat.
Das Familiengericht entscheidet auf Antrag des Kindes über das Einsichtsrecht (§ 32).
7. Familiengerichtliches Verfahren (§ 32)
Verweigert das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben dem Kind die Einsicht in seinen Herkunftsnachweis, entscheidet das Familiengericht auf Antrag des Kindes über dessen Einsichtsrecht.
Das Familiengericht hat zu prüfen, ob das Interesse der leiblichen Mutter an der weiteren Geheimhaltung ihrer Identität aufgrund der durch die Einsicht befürchteten Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Belange gegenüber dem Interesse des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung überwiegt.
Das Gericht kann die Mutter persönlich anhören. Hört es die Mutter an, so hat die Anhörung in Abwesenheit der übrigen Beteiligten zu erfolgen. Diese sind unter Wahrung der Anonymität der Mutter über das Ergebnis der Anhörung zu unterrichten. Der Beschluss des Familiengerichts wird erst mit Rechtskraft wirksam. Die Entscheidung wirkt auch für und gegen die Mutter. In dem Verfahren werden keine Kosten erhoben.
Wird der Antrag des Kindes zurückgewiesen, kann das Kind frühestens drei Jahre nach Rechtskraft des Beschlusses erneut einen Antrag beim Familiengericht stellen.
8. Rechte des Vaters
Die Schwangere ist über die Rechte des leiblichen Vaters in der Beratung zur vertraulichen Geburt umfassend zu informieren bzw. aufzuklären.
Benennt die Schwangere den Namen des Vaters nicht und ist der Vater des Kindes somit unbekannt, sind eine Anerkennung der Vaterschaft und eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft faktisch nicht möglich.
8.1 Widerspruch des Vaters gegen eine Adoption
Die Adoption des Kindes bedarf grundsätzlich der Zustimmung beider Eltern.
Meldet sich aber der (potenzielle) Vater eines vertraulich geborenen Kindes, ist zu unterscheiden, ob er mit der Mutter des Kindes verheiratet war oder nicht. In der Regel wird in diesen Fällen seine Zustimmung zur Adoption erforderlich sein.
Ein rechtlicher Vater (Ehemann der leiblichen Mutter) kann bei Kenntnis von der Existenz des Kindes nach Inobhutnahme durch das Jugendamt, aber vor Adoptionsbeschluss, einer Adoption widersprechen. Er kann unter Umständen die Übertragung des Sorgerechts und die Herausgabe des Kindes verlangen.1
Auch der mutmaßliche Vater kann, soweit es keinen rechtlichen Vater gibt, der Adoption widersprechen, wenn er glaubhaft macht, der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben.
Benennt die Schwangere den Namen des Vaters nicht und ist der Vater des Kindes unbekannt, sind eine Anerkennung der Vaterschaft und eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft faktisch nicht möglich.
Auf die Einwilligung des Vaters zur Adoption kann verzichtet werden, wenn sein Aufenthalt dauerhaft unbekannt ist (§ 1747 Abs. 4 BGB). Im gerichtlichen Adoptionsverfahren muss in diesem Falle mit den Beteiligten geklärt werden, ob sie Kenntnisse über den Vater haben. Die Beratungsfachkräfte unterliegen aber hinsichtlich der ihnen von der Mutter anvertrauten Informationen der Schweigepflicht nach § 203 StGB
8.2 Aufhebung der Adoption
Erfährt der rechtliche oder mutmaßliche Vater erst nach Adoptionsbeschluss des Familiengerichts von der Existenz des Kindes, so stehen ihm rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, soweit er nachweisen kann, im Adoptionsverfahren zu Unrecht nicht beteiligt worden zu sein. In diesem Fall kann er die Aufhebung der Adoption innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren geltend machen. Der Beginn dieser Frist richtet sich nach den jeweilig geltend gemachten Aufhebungsgründen. Allerdings sind hierbei die gesetzlichen Aufhebungshindernisse zu beachten, insbesondere eine Kindeswohlgefährdung.
Zu Unrecht wurde der Kindsvater in diesem Zusammenhang nur dann nicht beteiligt, wenn seine Vaterschaft dem Familiengericht entweder bekannt war oder das Gericht keine gebührenden Anstrengungen unternommen hat, ihn zu ermitteln. Hat die leibliche Mutter keine Angaben über den rechtlichen oder mutmaßlichen Kindesvater gemacht, kann dieser vom Gericht in aller Regel nicht ermittelt werden, so dass er eine Aufhebung der Adoption nicht durchsetzen kann.
1 www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2015/dv-
35-14_vertrauliche-geburt.pdf, Seite 14