Unterhalt wegen Kindesbetreuung nach Trennung oder Scheidung
1. Basisunterhalt bis zur Vollendung des dritten
Lebensjahres
Bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ist der betreuende Elternteil zu keiner Erwerbstätigkeit verpflichtet. Der andere Elternteil muss den Bedarf des betreuenden Elternteils vollständig sicherstellen (sog. Basisunterhalt). Der betreuende Elternteil kann frei entscheiden, ob er eine Erwerbstätigkeit aufgibt, einschränkt oder beibehält. Der andere Elternteil kann hierauf keinen Einfluss nehmen (§ 1570 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Bei nichtehelichen Kindern ist der Betreuungsunterhalt in der Regel nur bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres zu zahlen.
2. Billigkeitsunterhalt nach Vollendung des dritten
Lebensjahres
Nach Vollendung des dritten Lebensjahres ist Betreuungsunterhalt grundsätzlich nicht mehr zu zahlen. Vom Elternteil, bei dem das Kind lebt, wird grundsätzlich eine vollschichtige Erwerbstätigkeit erwartet. Der Bundesgerichtshof hält es grundsätzlich für zumutbar und mit dem Kindeswohl vereinbar, dass eine Erwerbstätigkeit fortgesetzt oder wieder aufgenommen wird, wenn die Versorgung des Kindes durch Fremdbetreuung gewährleistet ist. Betreuungsunterhalt ist deshalb nur noch zu zahlen, wenn und ggf. soweit besondere kindbezogene oder elternbezogene Gründe vorliegen (sog. Billigkeitsunterhalt - § 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese Gründe hat der unterhaltsberechtigte Elternteil konkret zu beschreiben und im Streitfall nachzuweisen (BGH, Urteil vom 1. Juni 2011 - XII ZR 45/09).
- Kindbezogene Gründe liegen dann vor, wenn eine Betreuung des Kindes durch den Elternteil im Interesse des Kindes notwendig ist.
- Elternbezogene Gründe können sich aus der Dauer der Ehe, der Haushaltsführung sowie anderer Umstände ergeben.
Ein abrupter, übergangsloser Wechsel von der elterlichen Betreuung zur Vollzeittätigkeit wird aber nicht verlangt; vielmehr ist ein gestufter Übergang im Interesse des Kindes möglich.
3. Billigkeitsunterhalt aus kindbezogenen Gründen
Die Verlängerung des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt aus kindbezogenen Gründen setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus:
- Bestehen eines Betreuungsbedarfs
- Unmöglichkeit alternativer kindgerechter Bedarfsdeckung
3.1 Bestehen eines Betreuungsbedarfs
Die Betreuung eines Kindes ist allgemein notwendig, wenn es aufgrund seines Reife- und Entwicklungs-standes nicht in der Lage ist, Zeiten ohne Betreuung zu verbringen. Konkrete Zeit- oder Altersvorgaben macht der Bundesgerichtshof nicht, sondern stellt auf die Umstände des Einzelfalles ab. Grobe Anhalts-punkte kann möglicherweise die Rechtsprechung zur Aufsichtspflicht der Eltern bieten, die beispielsweise bei 7- bis 8-jährigen Kindern verlangt, dass "Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht" (Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. März 2009 - VI ZR 199/08, NJW 2009, 1954). Erst wenn die Kinder ein Alter erreicht haben, in dem sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zeitweise sich selbst überlassen werden können, kommt es aus kindbezogenen Gründen insoweit nicht mehr auf die vorrangig zu prüfende Betreuungsmöglichkeit in kindgerechten Einrichtungen an (zum Umfang einer Betreuungsbedürftigkeit vgl. auch BGH, Urteile vom 24. März 2009 - VI ZR 199/08 und VI ZR 51/08).
Auch bei älteren Kindern kann ein Betreuungsbedarf bestehen, beispielsweise bei Erkrankung oder Behinderung des Kindes und bei schulischer Leistungsschwäche, die eine Betreuung bei den Hausaufgaben erfordert. Außerdem können besondere Interessen des Kindes, die sich auf sportliche, musische oder andere Beschäftigungen beziehen, die vom Kind nicht selbständig wahrgenommen werden können, Fahr- und Betreuungsleistungen erfordern. Schließlich sind auch schulische Anforderungen an die Mitarbeit des unterhaltsberechtigten Elternteils (etwa Hausaufgabenbetreuung, Klassen-pflegschaft usw.), im üblichen und notwendigen Umfang als Betreuungsbedarf zu berücksichtigen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.4.2012 - XII ZR 65/10).
3.2 Unmöglichkeit alternativer kindgerechter Bedarfsdeckung
Ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt besteht nur, wenn und soweit der konkrete Betreuungsbedarf im Einzelfall durch kindgerechte Einrichtungen oder Dienste nicht aufgefangen werden kann. Bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten, Kinderhorten, Schulen einschließlich der offenen Ganztagsschulen ist die Betreuung nach Auffassung des Bundesgerichtshofs regelmäßig mit dem Kindeswohl vereinbar. Sie umfasst bei schulpflichtigen Kindern auch die Nachmittagsbetreuung und
Hausaufgabenbetreuung, so dass eine ganztägige Betreuung der Kinder gesichert und Familienrecht
dementsprechend eine ganztätige Vollzeiterwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils ermöglicht wird (siehe aber Abschnitt 4).
Es gibt, wie der Bundesgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen festgestellt hat, im Rahmen des Unter-haltsrechts keinen Vorrang der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil gegenüber der Betreuung durch staatliche Institutionen mehr. Deshalb haben Väter und Mütter, die ihre Kinder nach Trennung oder Scheidung der Ehe betreuen, nicht die Möglichkeit, ohne Verzicht auf den Betreuungsunterhalt ihr Kind persönlich zu betreuen.
4. Billigkeitsunterhalt aus elternbezogenen Gründen
Auch elternbezogene Gründe können einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt begründen.
Der Bundesgerichtshof hat bisher zwei elternbezogene Gründe anerkannt.
- Die Kindesbetreuung entspricht der ehelichen Rollenverteilung.
- Erwerbstätigkeit und Kindesbetreuung bewirken eine übermäßige Belastung des betreuenden Elternteils.
4.1 Kindesbetreuung gemäß der ehelichen Rollenverteilung
Vom betreuenden Elternteil kann eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden, wenn er sich aufgrund der
vereinbarten und in der Ehe praktizierten Rollenverteilung auf die Betreuung der Kinder eingerichtet und aus diesem Grunde eine Berufstätigkeit aufgegeben oder zurückgestellt hat (Vertrauens-schutz). Das gilt aber nur, wenn und solange er die Kinder tatsächlich betreut. Ist eine Betreuung der Kinder tatsächlich nicht notwendig und wird sie auch tatsächlich nicht geleistet, besteht kein Anspruch auf Betreuungsunterhalt, auch wenn der betreuende Elternteil über Jahre oder Jahrzehnte das gemeinsame Kind/die gemeinsamen Kinder betreut hat.
4.2 "Überobligationsmäßige" Belastung mit Kindesbetreuung
Betreuungsunterhalt ist aus elternbezogenen Gründen auch zu zahlen, wenn und soweit die volle Erwerbstätigkeit und die Kindesbetreuung/Haushaltsführung zu einer unzumutbaren Belastung des betreuenden Elternteils im Einzelfall führt ("überobligationsmäßige Belastung").
Der Bundesgerichtshof hat zwar ausdrücklich die Auffassung abgelehnt, wonach Kindesbetreuung und Erwerbstätigkeit zusammen nicht über einen Acht-Stunden-Tag hinausgehen dürften. Vielmehr komme es darauf an, ob der Elternteil mit der Summierung von Erwerbstätigkeit und Betreuung im Einzelfall unzumutbar belastet ist. Jedoch sei "zu berücksichtigen, dass am Morgen oder am späten Nachmittag und Abend regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen sind, die je nach dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes oder der Kinder in unter-schiedlichem Umfang anfallen können." Bei der vom Gesetz angeordneten Billigkeitsabwägung sei der Gesichtspunkt einer gerechten Lastenverteilung zwischen dem unterhaltsberechtigten und dem unterhaltspflichtigen Elternteil im Einzelfall zu beachten (Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.4.2012 - XII ZR 65/10). Daraus ist beispielsweise abzuleiten, dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit unzumutbar sein kann, wenn der betreuende Elternteil vor und nach der täglichen Arbeitzeit Erziehungs- und Betreuungs-leistungen für mehrere Kinder erbringen muss.
5. Anrechnung der tatsächlichen und der fiktiven
Einkünfte
Ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt besteht nicht, wenn der betreuende Elternteil über ausreichende Einkünfte verfügt. Die Höhe seines Anspruchs auf Betreuungsunterhalt richtet sich nach der "Düsseldorfer Tabelle" (www.olg-duesseldorf.nrw.de).
Bei der Unterhaltsberechnung darf aber Erwerbseinkommen nur angerechnet werden, wenn und soweit es auf einer zumutbaren Tätigkeit beruht. Erzielt der betreuende Elternteil kein Einkommen, obwohl ihm eine Vollzeit- oder Teilzeittätigkeit zumutbar ist, werden auch die durch eine mögliche und zumutbare Tätigkeit erzielbaren Einkünfte berücksichtigt (fiktive Einkünfte).
Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt voraus:
- subjektiv: fehlende oder unzureichende Erwerbsbemühungen des betreuenden Elternteils,
- objektiv: Einkünfte müssen objektiv erzielbar sein, was von den persönlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand sowie dem Vorhandensein entsprechender geeigneter und zumutbarer Arbeitsstellen abhängt. Ist aufgrund der objektiven Situation nicht zu erwarten, dass er eine Erwerbstätigkeit finden und ausüben kann, sind ihm Erwerbsbemühungen nicht zumutbar und ist die Anrechnung fiktiver Einkünfte unzulässig.
Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim betreuenden Elternteil. Jedoch ist die bisher bei den Gerichten für Unterhaltssachen übliche Praxis, fiktive Einkünfte ohne Rücksicht auf die persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Betroffenen und die tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt festzusetzen, verfassungswidrig.
Beispiel: Verdient ein unterhaltspflichtiger Koch 8,33 Euro je Stunde, darf das Gericht nicht ohne entsprechende Prüfung unterstellen, dass er auch einen Stundenlohn von 10 Euro erzielen könnte (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 18. 6. 2012 - 1 BvR 774/10, 1 BvR 1530/11, 1 BvR 2867/11).
Der Beitrag wurde im Januar 2014 umfangreich aktualisiert und weicht daher inhaltlich von der gedruckten Fassung der Ausgabe 4/2012 (Oktober 2014) des Recht-Informationsdienstes ab.