Stationäre Kinderrehabilitation: Übernahme der Kosten einer Begleitperson durch den Rentenversicherungsträger
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2014 - L 8 R 906/13 B
Der Rentenversicherungsträger bewilligte den 2004 geborenen Kindern und Antragstellern eine stationäre Kinderrehabilitation mit folgendem Hinweis:
"Im Interesse der Gesundheit Ihres Kindes sollen die erforderlichen Leistungen zeitnah innerhalb der nächsten drei Monate beginnen."
Er lehnte die Kostenübernahme für den Mitaufenthalt der Mutter als Begleitperson während der stationären Rehabilitation jedoch ab.
Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit Klagen und Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen zum Sozialgericht Münster. Zur Begründung der notwendigen Begleitung durch die Mutter legten sie vor:
- eidesstattliche Versicherung der Mutter, dass der Chefarzt der Klinik, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Begleitung durch sie befürwortet habe
- Bescheinigung des behandelnden Kinderarztes
- Stellungnahme des Jugendamtes
- Stellungnahme der Leiterin der Grundschule
Das Sozialgericht Münster lehnte die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen und auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ab.
Es sei bei nicht erkennbar, dass die Übernahme der Kosten für die Mutter der Antragsteller geboten sei, um den Erfolg der Kinderheilmaßnahme zu sichern. Da die Maßnahme in einer speziell auf Kinderheilbehandlung ausgerichteten Einrichtung durchgeführt werden solle, könne erwartet werden, dass dort fachkundiges Personal vorhanden sein werde, das auch im Hinblick auf eine psychologische Begleitung geschult sei. Die vorgelegten Bescheinigungen belegten nichts anderes. Die Bescheinigung des Kinderarztes benenne eine medikamentöse Therapie sowie die Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, lasse aber nicht erkennen, warum die Antragsteller dadurch in einer Kinderheilbehandlung - wo geschultes Personal vorausgesetzt werden könne - gefährdet seien.
Gegen beide Entscheidungen haben sich die Antragsteller mit ihren Beschwerden gewandt.
Die Beschwerden sind begründet. Die Antragsteller haben Anspruch auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts:
- Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung).
- Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind bei Antragstellern, die neben Kindergeld und Unterhaltszahlungen (ergänzende) Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beziehen, erfüllt. Ein Anspruch auf einen Prozesskostenvorschuss gegen die Mutter als einzusetzendes Vermögen scheidet aus, wenn diese ebenfalls ergänzend SGB II-Leistungen erhält.
- Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen bieten hinreichende Erfolgsaussichten, wenn die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und -grund - ggf. nach ergänzender Sachverhaltsaufklärung möglich ist.
- Ein Anordnungsanspruch auf Kostenübernahme ist glaubhaft gemacht, wenn wegen bereits vorliegender ärztlicher Äußerungen überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Ärzte auf konkrete Nachfrage des Gerichts die Begleitung durch die Mutter zur Erreichung des Rehabilitationserfolges als medizinisch notwendig attestieren werden.
- Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die Rehabilitationsmaßnahme im Interesse der Gesundheit der Kinder baldmöglichst durchgeführt werden sollte.
Anmerkung: Es ist ein Skandal, dass im 21. Jahrhundert ein für Kinderrehabilitationen zuständiger Rentenversicherungsträger und ein Sozialgericht offenbar nicht wissen, dass die Mutter-Kind-Beziehung nicht durch psychologische Fachkräfte ersetzt werden kann und sich über die übereinstimmende Meinung der Fachärzte, des für die Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Amtes und der Schulleiterin hinwegsetzen.
Die zugunsten der SGB II-Leistungen beziehenden alleinerziehenden Mutter und ihren Kindern ergangene Entscheidung des Landessozialgerichts zeigt andererseits Menschen in vergleichbarer Situation, dass es durchaus Sinn macht, rechtswidrige behördliche und gerichtliche Entscheidungen nicht hinzunehmen, sondern sachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen und notfalls auch zu klagen. Der Staat bietet durch Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe auch einkommensschwachen Menschen weitgehend kostenfreie Möglichkeiten zur Wahrung und Verteidigung ihrer Rechte.