SGB XIV: Soziales Entschädigungsrecht 2024
Soziale Entschädigung nach dem SGB XIV unterstützt Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung mit der Folge einer Gesundheitsstörung erlitten haben, für die der Staat eine Mitverantwortung trägt und übernimmt.
1. Geltungsbereich
Das SGB XIV enthält einheitliche Regelungen für Entschädigungen, die bis zum 31.12.2022 auf vier verschiedene Gesetze verteilt waren:
- Opferentschädigung wegen ziviler Gewalttaten (bisher Opferentschädigungsgesetz - OEG),
Gewalttaten sind vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzungen sowie gegen die freie Willens-
entscheidung gerichteter schwerwiegender psychischer Zwang. Auch die Vernachlässigung von Kindern gilt als Gewalttat. - Versorgung von derzeitigen und künftigen Opfern des ersten und des zweiten Weltkriegs (bisher Bundesversorgungsgesetz - BVG),
- Entschädigung für Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes (bisher Zivildienstgesetz - ZDG) sowie
- Entschädigung für Schäden infolge öffentlich empfohlener Schutzimpfungen oder anderer Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe (bisher Infektionsschutzgesetz - IfSG).
2. Anspruchsberechtigte (§ 2)
Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XIV können geltend gemacht werden von
- Geschädigten,
- Angehörigen von Geschädigten,
- Hinterbliebenen von Geschädigten,
- Nahestehenden von Geschädigten.
Geschädigte sind Personen, die durch ein schädigendes Ereignis nach diesem Buch unmittelbar eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben.
2.1 Angehörige
Zu den Angehörigen gehören Ehegatten, eingetragene Lebenspartner1, Kinder und Eltern von Geschädigten. Die Frage, ob außer den leiblichen und Adoptiveltern, auch Stief- und Pflegeeltern anspruchsberechtigt sein können, wird in der Fachliteratur bejaht2. Zu den Kindern zählen auch Stiefkinder, Pflegekinder aber nur dann, wenn
- mit dem Anspruchsberechtigten ein familienähnliches, auf Dauer berechnetes Band besteht,
- er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und
- das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht.
2.2 Hinterbliebene
Hinterbliebene sind die Witwen, Witwer, eingetragene Lebenspartner, Waisen und Eltern der geschädigten, verstorbenen Person, außerdem Betreuungsunterhaltsberechtigte, die nach Ehescheidung Anspruch auf Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes haben (§ 1570 BGB).
2.3 Nahestehende
Nahestehende sind Geschwister sowie Personen, die mit Geschädigten eine Lebensgemeinschaft führen, die der Ehe ähnlich ist, weil sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht.3
3. Anspruch auf Leistungen (§ 4)
Geschädigte haben Anspruch auf Leistungen der Sozialen Entschädigung wegen der anerkannten gesundheitlichen und der wirtschaftlichen Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die ursächlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen ist.
3.1 Leistungen an Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende (§ 6)
Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende erhalten Schnelle Hilfen nach Kapitel 4 sowie besondere psychotherapeutische Leistungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 43 Abs. 4.
Nur Hinterbliebene erhalten darüber hinaus
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 63 Abs. 3,
- Entschädigungszahlungen an Hinterbliebene nach Kapitel 9 Abschnitt 2,
- Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 93 Abs, 1 Satz 2 und
- Leistungen zur Förderung einer Ausbildung nach § 94.
3.2 Erleichterung des Nachweises (§ 4 Abs. 4-6)
Ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen kann auch dann anerkannt werden, wenn der Geschädigte nicht nachweisen kann, dass die Gesundheitsstörung Folge einer Gewalttat, von Kriegsereignissen, der Tätigkeit im Zivildienst oder einer Impfung nach dem Infektionsschutzgesetz ist.
- Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (§ 4 Abs. 4).
- Bei psychischen Gesundheitsstörungen wird die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Einzelfall vermutet, wenn medizinische Tatsachen vorliegen, die nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, einen Ursachenzusammenhang zwischen einem nach Art und Schwere geeigneten schädigenden Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung und der Schädigungsfolge zu begründen und diese Vermutung nicht durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt wird (§ 4 Abs. 5).
3.3 Grad der Schädigungsfolgen (§ 5)
Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Versorgungsmedizin-Verordnung).
Er ist nach Zehnergraden von zehn bis 100 zu bemessen.
4. Leistungen (§§ 41-82)
Die Leistungen der Schnellen Hilfen umfassen Leistungen des Fallmanagements und Leistungen sowie psychotherapeutische Intervention und bis zu 15 und evtl. zehn weitere Sitzungen in einer Traumaambulanz (§§ 33ff SGB IV). Die Leistungen werden im erleichterten Verfahren erbracht: Eine Prüfung, ob die Angaben im Antrag zutreffend sind, erfolgt nicht (§ 115 SGB IV).
Leistungen zur Teilhabe werden nach §§ 62-70 SGB XIV erbracht.
Bei Pflegebedürftigkeit werden Leistungen auf der Grundlage des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) erbracht und bedarfsgerecht aufgestockt (§§ 71-80 SGB XIV).
Bei hochgradiger Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit erhalten Geschädigte Blindenhilfe nach § 82 SGB XIV.
5. Monatliche Entschädigungszahlungen (§§ 83-88)
Geschädigte erhalten eine monatliche Entschädigungszahlung, deren Höhe vom Grad der Schädigungsfolgen abhängig ist:
- 400 Euro bei einem Grad der Schädigungsfolgen von 30 und 40,
- 800 Euro bei einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 und 60,
- 1.200 Euro bei einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 und 80,
- 1.600 Euro bei einem Grad der Schädigungsfolgen.
Auf Antrag wird eine Abfindung in Höhe des 60-fachen Monatsbetrags gezahlt. Damit sind die Entschädigungszahlungen für die Dauer von fünf Jahren abgegolten.
6. Berufsschadensausgleich (§§ 89-91)
Geschädigte, die einen Einkommensverlust erleiden, erhalten monatlich einen Berufsschadensausgleich, wenn
- ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 anerkannt worden ist und
- Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgversprechend bzw. nicht zumutbar sind.
7. Besondere Leistungen im Einzelfall (§§ 92-96)
Geschädigte erhalten besondere Leistungen im Einzelfall, soweit und solange sie nicht oder nicht ausreichend in der Lage sind, den jeweiligen Bedarf aus ihrem Einkommen und Vermögen zu decken, und dieses Unvermögen durch die Schädigungsfolgen entstanden ist. Besondere Leistungen im Einzelfall sind:
- Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 93 SGB XIV,
- die Leistung zur Förderung einer Ausbildung nach § 94 SGB XIV,
- Leistungen zur Weiterführung des Haushalts nach § 95 SGB XIV,
- Leistungen in sonstigen Lebenslagen nach § 96 SGB XIV.
8. Leistungen bei Überführung und Bestattung (§ 99)
Stirbt ein Geschädigter an den Schädigungsfolgen, so hat die Person, die die Überführung veranlasst hat, einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlich entstandenen Kosten, soweit sie erforderlich und angemessen sind.
Die Kosten der Beerdigung werden bis zur Höhe eines Siebtels der im Zeitpunkt des Todes geltenden jährlichen Bezugsgröße übernommen (2023: 1/7 von 40.470 Euro = 5.781 Euro).
Weitere Informationen zu weiteren Leistungen, die im Todesfall gewährt werden können, finden Sie in unserem Beitrag "Sterbegelder und andere Leistungen im Todesfall" auf unserer Website.
9. Fristen für Neubegutachtungen
Die Leistungsvoraussetzungen für Entschädigungszahlungen werden regelmäßig nach fünf Jahren überprüft, bei schweren Schädigungen nach zehn Jahren.
1 § 21 Lebenspartnerschaftgesetz.
2 Grühn in BeckOK, Sozialrecht, Stand: 01.06.2023, § 2 Rn 29.
3 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87, Rn 114.