SGB VIII: Rechtsanspruch des Kleinkindes auf frühkindliche Förderung
1. Rechtsanspruch des Kleinkindes auf frühkindliche
Förderung
Jugendämter sind gesetzlich verpflichtet, den Anspruch eines jeden Kindes zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr auf frühkindliche Förderung zu erfüllen (§ 24 Abs. 2 SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe).
"Ein Kind, welches das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege."
Fehlende Betreuungsplätze, Fachkräftemangel, räumliche Probleme oder andere Schwierigkeiten entbinden die Jugendämter nicht von dieser unbedingten gesetzlichen Verpflichtung.
Kindertagespflege ist eine Betreuungsform für Kinder unter drei Jahren. Wegen ihrer familienähnlichen Struktur - maximal fünf Kindern je Tagespflegeperson - bietet sie Kleinkindern die Gelegenheit, Erfahrungen mit Gleichaltrigen sammeln zu können.
Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege ist erfüllt, wenn dem anspruchsberechtigten Kind ein kommunaler oder öffentlich geförderter privater Betreuungsplatz nachgewiesen wird, der dem konkret-individuellen Bedarf des Kindes und seiner Erziehungsberechtigten insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.10. 2017 - 5 C 19.16, Rn. 34, 41 ff.
2. Landesrechtliche Grundlagen der Kindertagespflege
in NRW
Die Qualifikationsanforderungen an die Kindertagespflegeperson, die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis zur Kindertagespflege und die Angebotsstruktur in der Kindertagespflege sind in §§ 21-23 Kinderbildungsgesetz NRW geregelt.
www.mkjfgfi.nrw/kinderbildungsgesetz
Seit dem Kindergartenjahr 2022/2023 können die Jugendämter in Satzungen bestimmen, dass alle Kindertagespflegepersonen, die erstmalig diese Tätigkeit aufnehmen, zum Nachweis der persönlichen Eignung über eine Qualifikation auf der Grundlage eines wissenschaftlich entwickelten Lehrplans verfügen müssen, der inhaltlich und nach dem zeitlichen Umfang dem Standard des vom Deutschen Jugendinstitut entwickelten kompetenzorientierten Qualifizierungshandbuch Kindertagespflege (QHB) von Februar 2022 entspricht. Alle vor dem 1. August 2022 qualifizierten und bereits tätigen Kindertagespflegepersonen sind nicht dazu verpflichtet, sich nach dem QHB nachqualifizieren zu lassen.
Die Qualifizierung nach dem QHB umfasst 300 Unterrichtseinheiten, 80 Stunden Praktikum und ca. 140 UE Selbstlerneinheiten.
3. Vertretung der Kindertagespflegeperson in
Ausfallzeiten
Die Jugendämter haben die gesetzliche Pflicht, für Ausfallzeiten einer Kindertagespflegeperson rechtzeitig eine andere Betreuungsmöglichkeit für das Tageskind sicherzustellen (§ 23 Absatz 4 Satz 2 SGB VIII).
Als Ausfallzeiten sind für den Kindertagespflegebereich im Wesentlichen sowohl Urlaubs- als auch Krankheitszeiten der Kindertagespflegeperson anzusehen.
Oberverwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 25.01.2021 - 7 A 10771/20.OVG
4. Rechtsprechung zur zumutbaren Entfernung
zwischen der Wohnung und der
Kindertagespflegeperson/Kita
Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil festgestellt:
Zumutbar ist regelmäßig eine Dauer von 30 Minuten für die einfache Wegstrecke von Wohnort zur Tageseinrichtung. Diese Höchstdauer gilt unabhängig davon, ob die Wegstrecke zu Fuß, mit einem Fahrrad, Motorrad oder mit einem PKW zurückgelegt wird.
Für den Großraum München wurde sogar ein Zeitaufwand von insgesamt 60 Minuten für die Strecke Wohnort > Tageseinrichtung > Arbeitsstätte als zumutbar erachtet, wenn sich die Eltern beim Bringen und Holen des Kindes jeweils abwechseln konnten (vgl. Verwaltungsgericht München, Urteil vom 18.09.2013 - M 18 K 13.2256 - Rn. 69).
Für die Zumutbarkeit ist auch die Lage des Betreuungsplatzes im Verhältnis zur Arbeitsstätte einzubeziehen: Liegt der Betreuungsplatz auf dem Weg zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte, kann auch eine mehr als 30-minütige Wegezeit zumutbar sein."
5. Beschluss des Oberverwaltungsgerichts NRW zur
Zumutbarkeit der Benutzung eines Fahrzeugs
bei Schreianfällen des Kindes
Das Oberverwaltungsgericht NRW hat die Zumutbarkeit der Nutzung eines Pkw bzw. Fahrrads trotz des Einwands der Eltern bejaht, ein Transport mittels Pkw bzw. Fahrrad scheide aus, weil sich das Kind "nur widerwillig anschnallen" lasse "und andernfalls erhebliche Schreianfälle" bekomme.
Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Gericht aus: "Es entspricht der Lebenswahrscheinlichkeit, dass das Kind seinen Widerwillen bei entsprechender Gewöhnung ablegen wird."
Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 28.09.2023 - 12 B 683/23
Anmerkung: Eltern, die weder einen PKW noch ein Fahrrad besitzen bzw. nutzen können, können in 30 Minuten zu Fuß höchstens 2 bis 2,5 km zurücklegen. Wenn sie einen Kinderwagen schieben müssen oder wenn körperliche Einschränkungen bestehen, ist die zumutbare Entfernung je nach den Streckenverhältnissen bzw. der individuellen Beeinträchtigung zu kürzen.
Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 28.09.2023 - 12 B 683/23
Weitere Informationen finden Sie im Beitrag "Kinderrechte: Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege bis zum Schuleintritt".