SGB II: Unterlassener Arbeitsantritt kein sozialwidriges Verhalten bei behördlichem Versagen
Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 26.01.2023 - L 11 AS/336/21
Der 1962 geborene Langzeitarbeitslose, anerkannt als schwerbehindert, hatte bis 2003 als Buchhalter gearbeitet. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedener Hilfsarbeiten u. a. in der Lagerwirtschaft, Gebäudereinigung und im Supermarkt. Überraschend erhielt der Mann 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil die Jobcenter in Osnabrück und in Düsseldorf die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnten und er deshalb nicht umziehen konnte.
2020 machte das Jobcenter Osnabrück eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei und damit vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert habe (§ 34 SGB II). Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rund 5.900 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann, denn der fehlende Arbeitsantritt habe nicht in seinem Verschulden gelegen. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei.
Seine Klage gegen den Sanktionsbescheid hatte beim Landessozialgericht Niedersachsen Erfolg.
Verletzung der Beratungs- und Hilfspflichten durch die Sozialleistungsträger
Geht ein Antrag auf eine Sozialleistung bei einem Jobcenter oder einer anderen Sozialbehörde ein und hält diese(s) sich für örtlich unzuständig, hat sie den Antrag an den aus seiner/ihrer Sicht zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten (§ 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I). Da das Jobcenter für eine möglichst weitgehende Verwirklichung der sozialen Rechte zu sorgen hat (§ 2 Abs. 2 SGB I), hatte das Jobcenter Osnabrück möglichst rasch mit dem aus seiner Sicht zuständigen Jobcenter Düsseldorf die Zuständigkeitsfrage sowie das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines entsprechenden Leistungsanspruchs zu klären und den Kläger entsprechend zu beraten (§ 14 SGB I).
"Zusammengefasst kann dem Kläger, der in einer rasches und klares Behördenhandeln erfordernden Situation von beiden in Betracht kommenden SGB II-Leistungsträgern vollkommen "allein gelassen" wurde, kein sozialwidriges Verhalten i. S. d. § 34 SGB II vorgeworfen werden".