Patientenrechte im Verhältnis zu Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe (Patientenrechtegesetz)
Übersicht
1. Anwendungsbereich des Gesetzes
1.1 Medizinische Behandlungen
1.2 Psychotherapeutische Behandlungen
2. Behandlungsvertrag
2.1 Pflicht zur Behandlung nach den fachlichen Standards - § 630a
2.2 Informationspflichten des Behandelnden - § 630c BGB
2.3 Einwilligung des Patienten - § 630d BGB
2.4 Aufklärungspflichten des Behandelnden - § 630e
2.5 Dokumentation der Behandlung, Aufbewahrungsfristen - § 630f BGB
2.6 Einsichtnahme in die Patientenakte - § 630g BGB
2.7 Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler - § 630h BGB
3. Rechtsschutz in Haftungsfällen
Das "Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten" fasst lediglich die von der Rechtsprechung entwickelten bzw. im ärztlichen Standesrecht bereits verankerten Grundsätze für den Behandlungsvertrag in Kurzform zusammen.
Für die Angehörigen der Berufe, die nichtärztliche medizinische Behandlungen durchführen, bestanden nicht in gleichem Umfang anerkannte fachliche Standards. Sie werden nun verpflichtet, Patienten nach Maßgabe des Gesetzes zu informieren und aufzuklären, Einwilligungen einzuholen, die Behandlung in einer Patientenakte zu dokumentieren und Einsicht zu gewähren.
1. Anwendungsbereich des Gesetzes
Das Gesetz gilt für medizinische und für psychotherapeutische Behandlungen:
1.1 Medizinische Behandlungen
Medizinische Behandlung im Sinne des Gesetzes umfasst neben der Diagnose die Therapie und damit sämtliche Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen,
- um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern (Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 29 Rn. 4 ff.),
- die kosmetischen oder anderen Zwecken dienen wie z. B. Schönheitsoperationen.
Das Gesetz gilt nicht für reine Pflege- und Betreuungsleistungen. Ungeklärt ist bisher, ob es auf die medizinische Behandlungspflege anzuwenden ist.
Medizinische Behandlungen werden durchgeführt von
- Ärzten,
- Hebammen,
- Masseuren und medizinische Bademeistern,
- Ergotherapeuten,
- Logopäden,
- Physiotherapeuten,
- Heilpraktikern
und Angehörigen sonstiger Heilberufe, deren Ausbildung durch Bundesgesetz geregelt ist.
Seine Regelungen gelten für selbständig tätige Angehörige dieser Berufsgruppen und für die Arbeitgeber/ Dienstgeber, die Mitarbeiter beschäftigen, die aufgrund ihres Arbeitsvertrags verpflichtet sind, medizinische oder psychotherapeutische Behandlungen im Sinne des Gesetzes durchzuführen (Erfüllungsgehilfen - § 278 BGB).
1.2 Psychotherapeutische Behandlungen
Psychotherapeutische Behandlungen im Sinne des Gesetzes sind nur Behandlungen durch
- Psychologische Psychotherapeuten,
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Deshalb gelten die Regelungen des Gesetzes nicht unmittelbar für psychologische, pädagogische und psychosoziale Beratung, Behandlung und Betreuung durch Psychologen, Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Jedoch sind die gesetzlichen Regelungen wegen vergleichbarer Interessenlage weitgehend entsprechend anzuwenden.
2. Behandlungsvertrag
Wichtigster Inhalt des Patientenrechtegesetzes ist die gesetzliche Regelung des Behandlungsvertrags in §§ 630a bis 630h BGB. Durch diese Regelung wird klargestellt, dass zwischen Arzt und Patient ein Vertragsverhältnis auch dann besteht, wenn die Bezahlung der ärztlichen Leistung beim gesetzlich krankenversicherten Patienten durch die Krankenkasse erfolgt.
Der Behandlungsvertrag ist eine Sonderform des Dienstvertrags: Soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, sind auf das Behandlungsverhältnis die Vorschriften über das Dienstverhältnis, das kein Arbeits-verhältnis im Sinne des § 622 ist, anzuwenden.
2.1 Pflicht zur Behandlung nach den fachlichen Standards -
§ 630a BGB
Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Ein Arzt muss somit mit dem Patienten eine Vereinbarung treffen, wenn er von den fachlichen Standards abweichen will, und den Patienten umfassend aufklären. Ein Abweichen von fachlichen Standards ohne diese Vereinbarung ist grundsätzlich ein Behandlungsfehler, der zum Schadensersatz verpflichten kann (siehe Abschnitt 2.7).
2.2 Informationspflichten des Behandelnden - § 630c BGB
Der Behandelnde hat dem Patienten sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die Prognose, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.
Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines eigenen Behandlungsfehlers
begründen, muss er den Patienten über die eingetretenen Komplikationen auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren informieren. Der Behandelnde ist nicht verpflichtet, sein Verhalten gegenüber dem Patienten als fehlerhaft zu bewerten. Hat er aber seinen Fehler offen eingestanden, so darf diese Information in einem gegen ihn oder gegen seinen Angehörigen geführten Straf- oder Bußgeld-verfahren zu Beweiszwecken nur mit seiner Zustimmung verwertet werden.
Der Behandelnde hat den Patienten über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform, d. h. schriftlich oder durch Fax, eMail oder SMS, zu informieren, wenn sich vor oder während der Behandlung ergibt, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten (Krankenversicherung, Beihilfe) nicht gesichert ist.
Ist der Patient nicht in der Lage, die Information in Textform wahrzunehmen, etwa weil er sehbehindert ist, so hat der Behandelnde den Patienten zusätzlich mündlich oder in sonstiger geeigneten Weise über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung zu informieren.
Der Patient kann bei unterlassener bzw. fehlerhafter Information über die zu erwartende fehlende Kostendeckung die Zahlung der von der Krankenkasse/Beihilfenstelle nicht übernommen Kosten verweigern (BGH, NJW 2000, 3429; BT-Dr 17/10488, Seite 22).
2.3 Einwilligung des Patienten - § 630d BGB
Vor jeder medizinischen Maßnahme ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn der Patient umfassend aufgeklärt worden ist.
Ist der Patient einwilligungsunfähig und eine Patientenverfügung nicht vorhanden, ist die Einwilligung des insoweit Berechtigten einzuholen (Vormund, Betreuer, gesetzlicher Vertreter, Bevollmächtigter).
Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden.
2.4 Aufklärungspflichten des Behandelnden - § 630e BGB
Der Behandelnde hat den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände
aufzuklären, insbesondere über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie über ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen.
Die Aufklärung muss mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; nur zur Ergänzung der mündlichen Information kann auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält.
Zur Unterrichtung des Patienten reicht es zwar üblicherweise aus, dass der behandelnde Arzt dem Patienten die Diagnose mündlich erläutert. Wird aber die Aufklärung beispielsweise durch die Schwer-hörigkeit des Patienten erschwert oder liegt eine medizinische Problematik vor, die von dem Patienten nicht erfasst werden kann, hat der Arzt die Aufklärung dem Patienten schriftlich zugänglich zu machen, damit dieser sich eingehend damit befassen und sich beispielsweise von Angehörigen bzw. einem anderen Arzt informieren und beraten lassen kann (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.11.2004 - 1 BvR 2315/04).
Die Aufklärung muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann. Unzulässig sind somit in der Regel Aufklärungsgespräche unmittelbar vor einem medizinischen Eingriff.
Die Aufklärung muss für den Patienten verständlich sein. Verständlich heißt, dass die Aufklärung für den Patienten sprachlich verständlich sein muss und nicht in der Fachsprache des Behandelnden erfolgen darf.
Bei Patienten, die den Inhalt der Aufklärung nach ihrem körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand nur schwer nachvollziehen können, muss die Aufklärung in leichter Sprache erfolgen und gegebenenfalls wiederholt werden.
Bei Patienten, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, hat die Aufklärung in einer
Sprache zu erfolgen, die der Patient versteht. Erforderlichenfalls ist eine sprachkundige Person oder ein Dolmetscher auf Kosten des Patienten hinzuzuziehen.
Bei hörbehinderten Patienten bedarf es unter Umständen der Einschaltung eines Gebärden-dolmetschers (Kosten trägt die gesetzliche Krankenkasse nach § 17 Abs. 2 SGB I).
Vor kosmetischen Behandlungen, die nicht der Heilung eines körperlichen Leidens, sondern einem ästhetischen Bedürfnis dienen, muss der Patient umfassend darüber unterrichtet werden, welche Verbesserungen er günstigenfalls erwarten kann. Über etwaige Risiken muss er vollständig aufgeklärt werden, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg der Maßnahme und etwaige Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will.
Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.
Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.
2.5 Dokumentation der Behandlung, Aufbewahrungsfristen -
§ 630f BGB
Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche wichtigen Umstände zeitnah, d. h. in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung zu dokumentieren.
Die Patientenakte kann in Papierform oder elektronisch geführt werden. In ihr sind sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungs-ergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.
Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen.
Die Aufbewahrungsfrist beträgt regelmäßig 10 Jahre. Längere Aufbewahrungsfristen sind beispielsweise in der Röntgen- und der Strahlenschutzverordnung bestimmt (30 Jahre).
Da Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit erst in 30 Jahren
nach Begehung der Pflichtverletzung verjähren, wird zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten eine entsprechend lange Aufbewahrung empfohlen (§ 199 Abs. 2 BGB; Katzenmeier, NJW 2013, 817, Fußnote 54).
2.6 Einsichtnahme in die Patientenakte - § 630g BGB
Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.
Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen.
Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.
Nach dem Tod des Patienten steht den Erben und nahen Angehörigen das Einsichtsrecht nicht zu, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht.
Steht der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten nicht entgegen, so steht das Einsichtsrecht den Erben zu, soweit die Einsichtnahme zur Wahrnehmung der vermögens-rechtlichen Interessen erforderlich ist. Die nächsten Angehörigen des Patienten haben ein Einsichtrecht nur, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen.
2.7 Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler -
§ 630h BGB
§ 630h BGB übernimmt die bisherige Rechtsprechung in Kurzform in das Gesetz. In fünf Absätzen werden Vermutungen zu Gunsten des Patienten aufgestellt: Behauptet der Patient beispielsweise, er sei nicht umfassend aufgeklärt worden, er habe in die Behandlung nicht eingewilligt, eine in der Patientenakte nicht dokumentierte Behandlung sei nicht durchgeführt worden oder ein grober Behandlungsfehler sei ursächlich für eine Körperverletzung, so wird vermutet, dass die Behauptung richtig ist. Der Arzt hat aber die Möglichkeit, den Gegenbeweis zu führen.
3. Rechtsschutz in Haftungsfällen
Das Patientenrechtegesetz ändert nichts an der Unsicherheit des Ausgangs von Arzthaftungsprozessen. Nach wie vor geht der Patient mit einer Klage ein hohes Kostenrisiko ein und muss mit einer Prozessdauer von mehreren Jahren rechnen.
Gesetzlich Krankenversicherte haben in der Regel ein Recht darauf, dass ihre Krankenkasse sie bei Beschwerdefällen gegenüber Behandelnden unterstützt (§ 66 SGB V). Kosten für ein Gutachten des Medizinischen Dienstes entstehen dem Versicherten nicht. Bei Gericht haben Geschädigte mit einem positiven Gutachten in 80 % aller Fälle Erfolg.
In manchen Fällen kann es zweckmäßig sein, bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der zuständigen Ärztekammer ein Gutachten zu beantragen. Zu weiteren Einzelheiten siehe
www.aekno.de - Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein
www.aekwl.de - Gutachterkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe
Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammer Nordrhein stellte im Berichtsjahr 2011/2012 in ca. 30 Prozent der Verfahren einen Behandlungsfehler fest.
Der Beitrag wurde im Januar 2014 umfangreich aktualisiert und weicht daher inhaltlich von der gedruckten Fassung der Ausgabe 3/2013 (Juli 2013) des Recht-Informationsdienstes ab.