Nachehelicher Unterhalt nach langjähriger Alleinverdiener-Ehe
Amtsgericht Frankenthal, Entscheidung vom 29.04.2021 - 71 F 214/19
Die Beteiligten, geschiedene Eheleute, stritten um rückständigen und laufenden Ehegattenunterhalt.
Sie haben im Jahr 1983 die Ehe geschlossen und leben seit dem Jahr 2016 voneinander getrennt. Die Ehe, aus der drei, zwischenzeitlich volljährige Kinder hervorgegangen sind, wurde nach 36-jähriger Dauer im Jahr 2019 geschieden.
Es handelte sich um eine sogenannte "Alleinverdiener-Ehe": Die im Jahr 1960 geborene Antragstellerin hatte während der Ehezeit nicht gearbeitet, sondern sich maßgeblich um die Kindererziehung gekümmert. Sie erzielte keine eigenen Einkünfte. Zwar hat sie in Kasachstan eine Ausbildung zur Postbotin absolviert, diesen Beruf jedoch nie ausgeübt.
Das Familiengericht hat zwei ärztliche Gutachten eingeholt. Ein Gutachter kam zu dem Ergebnis, aus neurologischer Sicht wäre eine Tätigkeit in Wechselschicht, nicht aber in Nachtschicht, in Form leichter bis mittelschwerer Tätigkeit überwiegend im Sitzen, zeitweise auch im Gehen und Stehen zumutbar. Nach dem zweiten Gutachten bestehen zusätzlich orthopädische Beeinträchtigungen. Deshalb sei die Antragstellerin bis auf weiteres nicht in der Lage, drei Stunden täglich wettbewerbsmäßig tätig zu sein.
Nach alledem stand für das Gericht fest, dass bei verständiger Würdigung eine reelle Erwerbschance auf dem Arbeitsmarkt für die Antragstellerin bis auf weiteres nicht besteht. Es hat deshalb entschieden:
- Die Antragstellerin kann Ehegattenunterhalt in Form des Elementarunterhalts sowie Krankenvorsorgeunterhalts verlangen.
- Von der Antragstellerin konnte jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Scheidung eine Erwerbstätigkeit wegen ihrer Erwerbsunfähigkeit nicht erwartet werden.
- Der Anspruch auf nachehelichen Ehegattenunterhalt wegen Krankheit setzt nicht voraus, dass die Krankheit "ehebedingt" ist. Ausreichend ist ein objektiv fassbarer, regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der länger andauert und der ärztlichen Behandlung bedarf und (teilweise oder ganz) die Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.
- Eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des Unterhalts gemäß § 1578 b BGB kommt nach Auffassung des Gerichts offensichtlich nicht in Betracht. Maßgebend sind insoweit folgende Umstände
a) die Ehe bestand rund 36 Jahre,
b) es handelte sich um eine Alleinverdiener-Ehe,
c) die Antragstellerin hat die drei gemeinsamen Kinder überwiegend betreut,
d) die Antragstellerin ist bereits 60 Jahre alt, krankheitsbedingt erwerbsunfähig und hat keine
Chance auf dem Arbeitsmarkt.
Anmerkung: Bei der Höhe des Ehegattenunterhalts (Elementarunterhalt) orientieren sich die Gerichte an Leitlinien des zuständigen Oberlandesgerichts. Bei Berufstätigkeit setzen der Bundesgerichtshof1 und die Süddeutschen Richtlinien einen Erwerbstätigenbonus von einem Zehntel und die von zahlreichen Gerichten angewandte Düsseldorfer Tabelle von einem Siebtel an:
- Ist der unterhaltspflichtige Ehegatte erwerbstätig, stehen dem anderen Ehegatten 3/7 des anrechenbaren Erwerbseinkommens zuzüglich der Hälfte sonstiger anrechenbarer Einkünfte zu.
Berufsbedingte Aufwendungen sind vom Einkommen abzuziehen: pauschal 5 Prozent des Nettoeinkommens, mindestens 50 Euro und höchstens 150 Euro monatlich. Höhere Aufwendungen sind insgesamt nachzuweisen. - Ist der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht erwerbstätig (z. B. Rentner), steht dem anderen Ehegatten die Hälfte seiner Rente zuzüglich der Hälfte sonstiger anrechenbarer Einkünfte zu.
Stets ist der Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Ehegatten zu berücksichtigen.
Sehen Sie hierzu Abschnitt B Abschnitte IV. bis VI. der Düsseldorfer Tabelle.
www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/Tabelle-2021/index.php
Krankenvorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 2 BGB)
Hat der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Scheidung keine eigene Krankenversicherung, kann er vom Unterhaltspflichtigen verlangen, dass dieser die angemessenen Kosten einer Krankenversicherung übernimmt. Der unterhaltsberechtigte Ehegatte kann der gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb einer Frist von 3 Monaten ab Scheidung als freiwillig Versicherter beitreten (§ 9 Abs. 1 Nr.1 und Abs. 2 SGB V).
Bestand während der Ehe eine private Krankenversicherung oder eine Zusatzversicherung, so kann der unterhaltsberechtigte Ehegatte verlangen, dass diese Versicherungen fortgeführt werden. Sind die Krankenversicherungskosten jedoch unverhältnismäßig hoch, so kann der Vorsorgeunterhalt auf einen angemessenen Betrag herabgesetzt werden (BGH FamRZ 1989, 483). Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen so günstig, dass die Krankenversicherungskosten neben dem Elementarunterhalt übernommen werden können, ist eine Herabsetzung allerdings ausgeschlossen.2
1 Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.11.2019 - XII ZB 3/19, Rn 23.
2 Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2006 - XII ZR 141/04, Rn 15ff.