Nachehelicher, unbefristeter Unterhalt nach 20-jähriger Ehe
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 06.05.2020 - 7 UF 9/18
Das Ehepaar, 51 bzw. 50 Jahre alt, war rund 22 Jahre verheiratet. Vor der Heirat hatten beide Ehegatten 1993 bzw. 1994 ein Germanistikstudium abgeschlossen. Die absprachegemäß auf die nähere Umgebung beschränkten Bewerbungen der Ehefrau um eine Anstellung im studierten Beruf blieben erfolglos.
Die Ehe wurde bis zur Trennung im Juli 2015 so gelebt, dass sich die Ehefrau vorwiegend um die beiden 1995 bzw. 1998 geborenen Kinder sowie den Haushalt und der Antragsteller um das Familieneinkommen kümmerten. Sie war von 1993 bis 2016 in Teilzeit als Bürokraft, Redaktionsmitarbeiterin, Übungsleiterin, in der Hausaufgabenbetreuung und in der Altenpflege tätig.
Sie leidet seit etwa Mitte des 3. Lebensjahrzehnts unter Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule, die inzwischen chronisch sind.
Nach einer Berufsberatung begann sie im Juni 2016 eine Umschulungsmaßnahme zur Sport- und Fitnesskauffrau, die sie im Juni 2018 erfolgreich beendete. Ihre Bewerbungen blieben bisher erfolglos. Im Falle eines Berufseinstiegs kann sie ein Nettogehalt von 1.600 bis 1.700 Euro erzielen. Während der Umschulungsmaßnahme erhielt sie ALG-II-Leistungen.
Ihr früherer Ehemann erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 3.400 Euro und trägt ca. 400 Euro berufsbedingte Fahrtkosten monatlich. Er leistet für die Tochter, die eine Ausbildung zur Sozialassistentin absolviert, Naturalunterhalt und für den Sohn, der Geografie studiert, Barunterhalt in Höhe von 231 Euro. Er hat zuletzt eine Unterhaltspflicht in Höhe von 343 Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren anerkannt.
Im Rahmen des Scheidungsverfahrens vor dem Amtsgericht wurde Übereinstimmung über eine Unterhaltspflicht in Höhe von 1.125 Euro erzielt, davon 781 Euro als Elementarunterhalt, 161 Euro als Krankenvorsorgeunterhalt und 183 Euro als Altersvorsorgeunterhalt. Das Amtsgericht hat den Unterhaltsanspruch auf fünf Jahre nach Abschluss der Umschulungsmaßnahme, insgesamt sechs Jahre, befristet. Gegen diese Befristung richtet sich die Beschwerde der Frau.
Das OLG Hamm hat der Frau unbefristeten Unterhalt zugesprochen und seine Entscheidung wie folgt begründet:
- Derzeit lässt die gegebene, konkrete Sachlage weder die Entscheidung über eine Befristung noch eine Herabsetzung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt nach § 1578b BGB zu.
- Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines oder mehrerer gemeinschaftlicher Kinder sowie aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben. Das Fortbestehen ehebedingter Nachteile schließt eine Begrenzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen grundsätzlich aus.
- Ohne die Eheschließung und die damit verbundenen Folgen hätte sich die Frau entweder weiterhin und überregional mit dem Ziel beworben, ein Volontariat zu beginnen, um dann bei einer Zeitung oder einem Verlag beruflich Fuß zu fassen oder aber sie hätte sich beruflich neu orientiert und eine Ausbildung etwa im Vergleich zur jetzt durchgeführten Umschulung als Fitnesskauffrau durchgeführt.
- Jetzt ist es der Antragsgegnerin nach über 20 Jahren ohne adäquate Berufserfahrung nicht mehr möglich, einen ihrem Hochschulstudium entsprechenden Beruf zu erlangen.
- Aufgrund ihres für den allgemeinen Arbeitsmarkt bereits fortgeschrittenen Alters, familiär bedingter langer beruflicher Abstinenz und ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist nicht hinreichend sicher erkennbar, ob und in welchem Umfang es ihr überhaupt gelingen wird, beruflich Fuß zu fassen und ihren Unterhalt durch eine eigene Berufstätigkeit zu sichern.
Anmerkung: Ehebedingte Nachteile sind vor allem Erwerbsnachteile, die durch die von den Ehegatten praktizierte Rollenverteilung während der Ehe entstanden sind. Dazu genügt es, wenn ein Ehegatte sich entschließt, seinen Arbeitsplatz aufzugeben, um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu übernehmen.
Ob die Aufgabe des Arbeitsplatzes gegen den Willen des Unterhaltspflichtigen erfolgte, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung. Auch kann der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht einwenden, den Unterhaltsberechtigten während der Ehe zur Berufstätigkeit angehalten zu haben.
Ein ehebedingter Nachteil liegt in einem solchen Fall nur dann nicht vor, wenn der Unterhaltsberechtigte seinen Arbeitsplatz ausschließlich aus Gründen aufgegeben oder verloren hätte, die mit der Rollenverteilung in der Ehe nichts zu tun haben (Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.02.2011 - XII ZR 108/09, Rn. 18 ff. und 22).
Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, kann nach § 1578b BGB Anspruch auf unbefristeten nachehelichen Unterhalt bestehen; denn nach der gesetzlichen Vorschrift ist auch die nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen, die insbesondere bei langjähriger Ehedauer und wirtschaftlicher Verflechtung durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung eine Befristung ausschließen kann.1
1 Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2011 − XII ZR 162/09, Rn 36.