Landeskinderschutzgesetz NRW 2022
Das hat den Landtag bewogen, am 6. April 2022 einstimmig das Landeskinderschutzgesetz zu beschließen, das die staatliche Aufgabe und Rolle im Kinderschutz präzisieren und qualitativ stärken soll. Bis einschließlich 2024 sollen vom Land rund 224 Millionen Euro in die Umsetzung des Gesetzes investiert werden.
Das Gesetz sieht einheitliche fachliche Mindeststandards für alle Jugendämter bei Kindeswohlgefährdungen vor. In allen Jugendamtsbezirken sollen künftig interdisziplinäre Netzwerke zum Kinderschutz aufgebaut werden. In Betreuungseinrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe werden Leitlinien für Kinderschutzkonzepte etabliert:
- Kinder und Jugendliche werden in ihrer Eigenschaft als Träger eigener Rechte gestärkt und müssen als Experten in eigener Sache maßgeblich beteiligt werden, wenn es um die Gestaltung ihrer Lebenswelten, ihren Schutz, Unterstützung und Hilfe geht (§§ 1-3).
- Das Jugendamt ist die zentrale Stelle für die Aufgabenwahrnehmung bei Kindeswohlgefährdungen (§§ 4-8). Es soll die fachlichen Standards für den Prozess der Gefährdungseinschätzung weiterentwickeln, anwenden, regelmäßig überprüfen und dabei als Mindeststandard die fachlichen Empfehlungen "Empfehlung Schutzauftrag. Gelingensfaktoren bei der Wahrnehmung des Schutzauftrags gemäß § 8a SGB VIII. Empfehlungen für die Jugendämter" der nach § 85 Absatz 2 SGB VIII zuständigen Behörde in ihrer im Dezember 2020 veröffentlichten, beziehungsweise weiterentwickelten Fassung berücksichtigen.
- Außerdem haben die Jugendämter insbesondere die Beachtung folgender Verfahrensstandards sicherzustellen:
a) die geeignete fachliche Qualifikation der Fachkräfte im Jugendamt,
b) das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte im Wege eines Mehraugenprinzips und
c) die schriftliche oder elektronische Dokumentation des zum jeweiligen Zeitpunkt festgestellten Gefährdungsrisikos für das betroffene Kind oder die betroffene jugendliche Person und der diese Risikobewertung tragenden tatsächlichen Umstände. - Die Jugendämter bilden Netzwerke zur interdisziplinären Zusammenarbeit im Jugendamtsbezirk oder in interkommunaler Zusammenarbeit mehrerer benachbarter Gemeinden oder innerhalb eines Kreises (§ 9). Das Netzwerk Kinderschutz soll die Rahmenbedingungen für eine effektive und schnelle Zusammenarbeit bei möglicher Kindeswohlgefährdung durch strukturelle Vernetzung, Absprachen zum Verfahren bei Kindeswohlgefährdung und anonymisierte Fallkonferenzen sicherstellen. Jedes Netzwerk richtet eine Koordinierungsstelle ein.
- In das Netzwerk Kinderschutz sollen Vertretungen insbesondere folgender Einrichtungen oder Berufsgruppen einbezogen werden:
1. das Jugendamt, insbesondere der Allgemeine Soziale Dienst,
2. freie Träger, mit denen Vereinbarungen gemäß § 8a Abs.4 SGB VIII bestehen,
3. insoweit erfahrene Fachkräfte,
4. Geheimnisträger gemäß § 4 Absatz 1 des Gesetzes zur Kooperation und Information im
Kinderschutz,
5. Schulen,
6. Gesundheitsämter,
7. Polizei- und Ordnungsbehörden,
8. Familiengerichte,
9. Staatsanwaltschaften,
10. Verfahrensbeistände,
11. Träger der Eingliederungshilfe für Minderjährige nach dem SGB IX
12. Netzwerke Frühe Hilfen sowie weitere Einrichtungen/Berufsgruppen.
Für diese Einrichtungen organisiert das Netzwerk Kinderschutz mit Unterstützung seiner Koordinierungsstelle Kinderschutz bedarfsgerecht, mindestens jedoch dreimal jährlich, interdisziplinäre Qualifizierungsangebote zur Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung. - Das Kinderschutzkonzept für Einrichtungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe hat Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt, Machtmissbrauch in der Einrichtung oder dem Angebot sowie Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung zu umfassen. Es ist angepasst auf die Einrichtung oder das Angebot zu entwickeln. Kinder und Jugendliche sind an der Entwicklung des Kinderschutzkonzeptes entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife zu beteiligen (§ 11).
- Die oberste Landesjugendbehörde trifft mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Kirchen und den Verbänden der Träger unter Beteiligung der Landesjugendämter Vereinbarungen über die Qualitätssicherung und -entwicklung für Kinderschutzkonzepte.
GV. NRW. 2022, 503