Kurzzeitige pflegebedingte Arbeitsverhinderung und Pflegeunterstützungsgeld
Übersicht
1. Voraussetzungen der kurzzeitigen Arbeitsbefreiung
1.1 Beschäftigte
1.2 Nahe Angehörige
1.3 Voraussichtliche Pflegebedürftigkeit
1.4 Akut eingetretene Pflegesituation
1.5 Organisation/Sicherstellung der Pflege
2. Anzeige- und Nachweispflicht, Ankündigungspflicht
3. Dauer der Arbeitsbefreiung
4. Pflegeunterstützungsgeld
4.1 Nachrangiger Anspruch
4.2 Höhe des Pflegeunterstützungsgeldes
4.3 Bescheinigung für den Arbeitgeber
4.4 Sozialversicherung
5. Anschließende Pflegezeit und Familienpflegezeit
Beschäftigte haben das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut auftretenden Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen (§ 2 Pflegezeitgesetz). Beschäftigten wird hiermit unter anderem geholfen, kurzfristig eine Pflege zu organisieren, zum Beispiel nach einem Schlaganfall der oder des nahen Angehörigen, sofern dieser (voraussichtlich) eine Pflegebedürftigkeit nach sich zieht.
1. Voraussetzungen der kurzzeitigen Arbeitsbefreiung
Anspruch auf Arbeitsbefreiung haben
- Beschäftigte (= Arbeitnehmer) und die zu ihrer Ausbildung Beschäftigten, die
- für einen nahen Angehörigen,
- der voraussichtlich pflegebedürftig ist,
- in einer akut eingetretenen Pflegesituation,
- eine bedarfsgerechte Pflege organisieren oder eine pflegerische Versorgung sicherstellen.
1.1 Beschäftigte
Beschäftigte im Sinne des Gesetzes sind nach § 7 Abs. 1 PflegeZG
- Arbeitnehmer, auch geringfügig Beschäftigte und leitende Angestellte,
- zu ihrer Ausbildung Beschäftigte, ausgenommen die Praktikanten in Schul-/Hochschulpflichtpraktika,
- arbeitnehmerähnliche Personen wie z. B. die in Heimarbeit Beschäftigten.
1.2 Nahe Angehörige
Nahe Angehörige im Sinne des Gesetzes nach § 7 Abs. 3 PflegeZG sind
- Eltern, Stiefeltern, Großeltern und Schwiegereltern,
- Ehegatten, Geschwister, Schwägerinnen und Schwager,
- Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Partner einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft,
- Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Beschäftigten, des Ehegatten oder des Lebenspartners sowie Schwiegerkinder und Enkelkinder (§ 7 Abs. 3 PflegeZG, § 2 Abs. 3 FPfZG).
1.3 Voraussichtliche Pflegebedürftigkeit
Pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes sind nur die Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen (§ 7 Abs. 3 PflegeZG in Verbindung mit §§ 14, 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch, § 2 Abs. 3 FPfZG).
Für die Inanspruchnahme der kurzzeitigen Arbeitsbefreiung reicht es aber aus, dass der Angehörige "voraussichtlich" pflegebedürftig ist und eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen ist. Der Beschäftigte hat auf Verlangen des Arbeitgebers eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit der Maßnahmen zur Sicherstellung der Pflege vorzulegen.
In diesem Fall kann nur der behandelnde Arzt eine vorläufige Diagnose stellen, aus der sich ergeben muss, dass für mindestens sechs Monate die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Pflegebedürftigkeit besteht.
Beispiel: Der Mitarbeiterin wird im Krankenhaus mitgeteilt, dass ihre Mutter nicht mehr wie bisher in ihrer Wohnung leben kann und voraussichtlich auf Dauer gepflegt werden muss.
1.4 Akut eingetretene Pflegesituation
Die Pflegesituation muss plötzlich und unerwartet eingetreten sein.1 "Akut" ist die Pflegesituation nur, wenn sie plötzlich, also unerwartet und unvermittelt aufgetreten ist.
Beispiel: Der bisher rüstige Vater einer Mitarbeiterin ist nach einer Operation plötzlich pflegebedürftig.
Ist die Person, die der Arbeitnehmer pflegen will, bereits pflegebedürftig und ändert sich die Pflegesituation nicht wesentlich, liegt kein Akutfall vor.6
Eine Freistellung kommt deshalb nicht in Betracht, wenn eine Pflegebedürftigkeit bereits länger bestand und der Mitarbeiter genügend Zeit hatte, eine Änderung der Pflege vorzubereiten.2
Beispiel: Nach einjähriger häuslicher Pflege erkennt eine Mitarbeiterin, dass sie der Belastung nicht gewachsen ist, und entschließt sich, ein geeignetes Altenheim für ihre Mutter zu suchen.
1.5 Organisation/Sicherstellung der Pflege
Beschäftigte haben das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen. Vorausgesetzt wird, dass der Mitarbeiter die Organisation beziehungsweise die Sicherstellung der Pflege des nahen Angehörigen selbst tatsächlich durchführt.
Zur Organisation und Sicherstellung der Pflege gehören alle Gespräche mit dem Pflegebedürftigen über seine Wünsche und Möglichkeiten, Gespräche mit den sonstigen Angehörigen, alle Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der häuslichen Pflege, Suche und Besuche - evtl. mit dem Pflegebedürftigen - von geeignet erscheinenden Pflegediensten oder Alten- oder Pflegeheimen, Vorbereitung und Durchführung des Umzugs in eine andere Wohnung/ein Heim, Klärung der Kostenfrage usw.
Verlangt der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit fortsetzt, steht diesem das Recht zu, die Arbeitsleistung zu verweigern, wenn sonst die Pflege des nahen Angehörigen nicht organisiert bzw. sichergestellt werden kann (§ 275 Abs. 3 BGB). Er kann Risiken dadurch vermeiden, dass er beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung beantragt, die ihm sein Leistungsverweigerungsrecht bestätigt.
2. Anzeige- und Nachweispflicht, Ankündigungspflicht
Der Mitarbeiter ist verpflichtet, die Verhinderung und die voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG). Außerdem hat er anzugeben, für welchen nahen Angehörigen die Organisation oder Sicherstellung der Pflege erforderlich ist. Zu weiteren Angaben über Art und Ursache der Pflegebedürftigkeit ist er nicht verpflichtet.
Bei Zweifeln kann der Dienstgeber die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit und die Erforderlichkeit einer bedarfsgerechten Organisation der Pflege bzw. einer Sicherstellung der pflegerischen Versorgung verlangen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 PflegeZG). Die voraussichtliche Dauer des Fernbleibens kann er nicht attestieren, weil er nicht wissen kann, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigen wird.
Die Bescheinigung des Hausarztes reicht aus. Dieser ist nicht zu einer umfassenden Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit verpflichtet. Es reicht aus, dass der nahe Angehörige "voraussichtlich" pflegebedürftig im Sinne des SGB XI ist, auch wenn sich diese Einschätzung später als Irrtum herausstellt. Der Arzt darf wegen seiner Schweigepflicht die Pflegebedürftigkeit nicht näher begründen.
Eine Ankündigungsfrist sieht das Gesetz nicht vor. Der Beschäftigte kann somit der Arbeit fernbleiben, wenn er beispielsweise die sofortige Unterbringung der nahen Verwandten in ein Pflegeheim zu organisieren hat.
3. Dauer der Arbeitsbefreiung
Die Arbeitsbefreiung umfasst bis zu zehn Arbeitstage je Kalenderjahr und je pflegebedürftiger Person, wenn sie für diesen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber und kein Kranken- oder Verletztengeld bei Erkrankung oder Unfall eines Kindes beanspruchen können.
Anzurechnen sind alle Tage, an denen der Beschäftigte ohne die Freistellung tatsächlich gearbeitet hätte (entsprechend § 45 SGB V). Nicht anzurechnen sind arbeitsfreie Tage beispielsweise Feiertage, Urlaubstage, Samstage/Sonntage bei Beschäftigung in der Fünf-Tage-Woche, ferner Tage an denen der Beschäftigte arbeitsunfähig erkrankt ist, oder solche, an denen er aufgrund des Dienstplans nicht gearbeitet hätte.
Eine mehrmalige Inanspruchnahme - im Rahmen der Höchstdauer von 10 Arbeitstagen - ist nicht ausgeschlossen, wenn der Pflegebedarf mehrmals neu entsteht, beziehungsweise sich der Grad der Pflegedürftigkeit so ändert, dass die Pflege neu organisiert werden muss.
Beispiele: Nach Beendigung einer unfallbedingten Pflegebedürftigkeit tritt nach einiger Zeit eine altersbedingte Pflegebedürftigkeit ein, so dass die Pflege neu organisiert werden muss.
Nachdem der Mitarbeiter zunächst eine häusliche Pflege organisiert hatte, wird später nach einem Sturz der Pflegebedürftigen plötzlich stationäre Pflege erforderlich.
Die festangestellte Pflegekraft fällt aus.3
Die Pflegeeinrichtung wird aus unvorhersehbaren Gründen geschlossen.4
Der Beschäftigte muss die Arbeitsbefreiung von bis zu zehn Arbeitstagen nicht zusammenhängend nehmen. Eine stunden- oder tageweise Inanspruchnahme kann zulässig sein, wenn die betrieblichen Verhältnisse nicht entgegenstehen.5
Nehmen mehrere Beschäftigte für einen nahen Angehörigen die Arbeitsbefreiung in Anspruch, müssen sie die zehn Tage untereinander aufteilen. Das gilt auch, wenn sie bei verschiedenen Arbeitgebern arbeiten.
Teilzeitmitarbeiter, die nur an bestimmten Wochentagen arbeiten, haben wie bei der Berechnung der Urlaubsdauer ein anteilig gekürztes Recht.
Beispiel: Eine Teilzeitmitarbeiterin, die an drei Tagen in der Woche arbeitet, ist wie eine Vollzeitkraft, die an fünf Wochentagen arbeitet, berechtigt, der Arbeit zwei Wochen lang - jeweils an ihren drei Arbeitstagen - fernzubleiben.
Eine weitergehende Arbeitsbefreiung im Akutfall sieht das Pflegezeitgesetz nicht vor. Reichen die zehn Tage zur Organisation/Sicherstellung der Pflege nicht aus, weil beispielsweise kein geeignetes Altenheim gefunden wurde, kann der Mitarbeiter beantragen, dass ihm Erholungsurlaub oder unbezahlter Urlaub gewährt wird, und sich notfalls auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen (§ 275 Abs. 3 BGB).
4. Pflegeunterstützungsgeld
Als Ausgleich für entgangenes Arbeitsentgelt bei einer "kurzzeitigen Arbeitsverhinderung" wird dem Mitarbeiter auf Antrag, der unverzüglich zu stellen ist, für die Dauer der kurzzeitigen Arbeitsbefreiung Pflegeunterstützungsgeld zum Ausgleich für entgangenes Arbeitsentgelt von der Pflegeversicherung oder dem privaten Versicherungsunternehmen des voraussichtlich Pflegebedürftigen gewährt.
Die erforderlichen Unterlagen insbesondere das Attest des behandelnden Arztes und die Entgeltbescheinigung des Dienstgebers sind später nachzureichen (§ 44a Abs. 3 SGB XI).
Download der Formulare für den Antrag und die Entgeltbescheinigung unter
4.1 Nachrangiger Anspruch
Zu beachten ist, dass es sich bei dem Pflegeunterstützungsgeld um einen nachrangigen Anspruch handelt (§ 44a Abs. 3 Satz 1 SGB XI). Deshalb wird es nur gezahlt, wenn für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung vom Dienstgeber z. B. nach § 616 BGB und auch kein Anspruch auf (Kinder-)Kranken- oder Verletztengeld bei Erkrankung oder Unfall eines Kindes besteht (§ 45 SGB V beziehungsweise § 45 Absatz 4 SGB VII).
4.2 Höhe des Pflegeunterstützungsgeldes
Die Höhe des Pflegeunterstützungsgeldes beträgt grundsätzlich 90 Prozent des wegfallenden Nettoentgelts (§ 2 Abs. 3 PflegeZG; § 45 Abs. 2 Satz 3-5 SGB V).
Es beträgt aber 100 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts, wenn in den letzten 12 Kalendermonaten vor der Freistellung eine beitragspflichtige Einmalzahlung gezahlt wurde, beispielsweise eine Jahressonderzahlung, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Jubiläumsgeld.
Jedoch gilt eine Höchstgrenze für das kalendertägliche Pflegeunterstützungsgeld: Es darf 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung nicht übersteigen (2024: kalendertäglicher Höchstbetrag = 172,50 Euro).
4.3 Bescheinigung für den Arbeitgeber
Die Pflegekasse oder das private Pflegeversicherungsunternehmen des pflegebedürftigen nahen Angehörigen stellt dem Beschäftigten mit der Leistungsbewilligung eine Bescheinigung über den Zeitraum des Bezugs und die Höhe des gewährten Pflegeunterstützungsgeldes aus. Beschäftigte hat diese Bescheinigung unverzüglich seinem Arbeitgeber vorzulegen (§ 45 Abs. 5 SGB XI).
4.4 Sozialversicherung
Das Pflegeunterstützungsgeld unterliegt der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 249 c SGB V, § 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB VI). Die Beiträge sind grundsätzlich jeweils zur Hälfte von dem Versicherten und der Pflegeversicherung des Pflegebedürftigen zu tragen.
Auf Antrag erhält der Beschäftigte Zuschüsse zu einer privaten Krankenversicherung und einer berufsständischen Versorgung (§ 44a Abs. 4 SGB V).
5. Verhältnis von Freistellung zur Organisation der Pflege zur Pflegezeit und Familienpflegezeit
Nach Abschluss der Organisation der Pflege bzw. bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit kann der Beschäftigte, wenn er den nahen Angehörigen selbst pflegen will, Pflegezeit bzw. Familienpflegezeit beanspruchen.
Beispiel: Eine Mitarbeiterin kann die Freistellung zur Organisation der Pflege nutzen, um einen geeigneten ambulanten Pflegedienst zu suchen und mit diesem eine Vereinbarung über die ambulante Pflege ihres Vaters zu treffen. Anschließend kann sie die Verringerung der Arbeitszeit beantragen, um ihren Vater in Abstimmung mit dem Pflegedienst in dessen Wohnung zu pflegen.
Sehen Sie hierzu die Beiträge "Pflegezeitgesetz 2024" und "Familienpflegezeitgesetz".
1 BeckOK ArbR/Joussen, PflegeZG, 12/2014, § 7 Rn. 17.
2 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.11.2011 - 9 AZR 348/10, NZA 2012, 323.
3 Preis/Nehring, NZA 2008, 729.
4 von Steinau-Steinrück/Mosch, NJW-Spezial 2010, 178.
5 Hexel/Lüders, NZS 2009, 264.
6 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.11.2022, Randnummer 44.
Der Beitrag wurde im Januar 2024 umfangreich aktualisiert und weicht daher inhaltlich von der gedruckten Fassung der Ausgabe 2/2015 (April 2015) des Recht-Informationsdienstes ab. Im Juni 2024 wurde der Beitrag darüber hinaus in einigen Bereichen ergänzt.