Kurzarbeit: Anspruch auf ungekürzte Vergütung bei fehlender Vereinbarung
Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 11.11.2020 - 4 Ca 1240/2
Die Parteien streiten über rückständiges Arbeitsentgelt nach vom Arbeitgeber angeordneter Kurzarbeit.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.12.2019 als Omnibusfahrer beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug 2.100 Euro. Ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gebildet. Mit Schreiben vom 16.03.2020 teilte die Beklagte ihm mit, dass Kurzarbeit in verschiedenen Bereichen des Betriebes angemeldet werden müsse und, dass der Kläger "zunächst in der Woche vom 23.03. bis zum 28.03.2020" für Kurzarbeit vorgesehen sei.
Eine Vereinbarung über Kurzarbeit wurde mit dem Kläger nicht geschlossen. Der Kläger bot dem Beklagten seine Arbeitsleistung an. Die Beklagte zahlte ihm ab März 2020 ungefähr die Hälfte des vereinbarten Gehaltes des Klägers und bezeichnete diese in der erteilten Abrechnung als "Kurzarbeitergeld". Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis selbst fristlos zum 14.06.2020.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger sein volles Gehalt in Höhe von 2.100 Euro brutto. Er ist der Auffassung, dass Kurzarbeit für ihn nicht wirksam vereinbart worden sei und die Beklagte ihm den vollen Lohn zahlen müsse.
Das Arbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung des Unterschiedsbetrags in voller Höhe:
- Der Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. § 611 a Abs. 2 BGB, § 615 BGB. Die Beklagte befand sich mit einem Teil des Lohns im Annahmeverzug. Kurzarbeit ist im Betrieb der Beklagten für den Kläger nicht wirksam vereinbart worden.
- Eine einseitige Mitteilung über eine "voraussichtliche Kurzarbeit" an einigen Tagen stellt keine Vereinbarung über Kurzarbeit für die Monate März bis Juni dar, wenn der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung angeboten und sich zur Arbeit bereitgehalten hat.
- Der Arbeitgeber kann nicht einseitig Kurzarbeit anordnen. Zulässig ist Kurzarbeit nur, wenn die Kürzung der Arbeitszeit und der Vergütung durch Betriebs-/Dienstvereinbarung/Tarifvertrag/AVR/KAVO zugelassen oder vertraglich mit dem Mitarbeiter vereinbart ist. Bei einer Anordnung ohne eine derartige Grundlage besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Arbeitnehmer behalten ihren vollen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers (§ 615 BGB).
- Besteht ein Betriebsrat, hat dieser gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Einführung der Kurzarbeit.
Anmerkung: Das Urteil gilt entsprechend für die Anwendungsbereiche der AVR und der KAVO-NRW; denn es beruht auf der gesetzlichen Regelung des Arbeitsvertrags/Dienstvertrags im BGB:
Da im Dienstvertrag eine bestimmte Arbeitszeit und eine entsprechende Vergütung vereinbart wird, kann der Dienstgeber weder die Arbeitszeit noch die Vergütung aufgrund seines Weisungsrechts einseitig ändern. Das gilt auch, wenn Arbeit beispielsweise wegen behördlicher Verbote nicht geleistet werden kann (§ 616 BGB).
Sehen Sie hierzu auch den Beitrag "Kinderbetreuungsgeld 2021" (Seiten 21/22)
Jedoch ist eine Änderung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit und Vergütung durch Änderungsvereinbarung bzw. Änderungskündigung nach staatlichem Recht zulässig. Dementsprechend bestimmen die AVR ausdrücklich, dass in Einrichtungen ohne Mitarbeitervertretung Kurzarbeit "mit jedem betroffenen Mitarbeiter gesondert zu vereinbaren" ist. Eine mündliche Information in einer Betriebsversammlung, eine schriftliche oder elektronische Information, ein Aushang usw. reichen nicht. Eine Pflicht, einen Änderungsvertrag abzuschließen, besteht für Mitarbeiter zwar grundsätzlich nicht. Jedoch haben sie, insbesondere wenn sie Kurzarbeitergeld erhalten bzw. ihnen ein mindestens gleich hoher Entgeltausgleich angeboten wird, auch die Interessen des Dienstgebers zu berücksichtigen (§ 241 Abs. 2 BGB).
Die AVR lassen die Einführung von Kurzarbeit in Einrichtungen mit Mitarbeitervertretung aufgrund einer Dienstvereinbarung und im Übrigen durch einzelvertragliche Vereinbarung zu (§ 5 der Anlage 5). Ein der Rechtslage entsprechendes Muster ist im Freiburger Kommentar/Thüsing, MAVO, 2020, § 38 Anm. 64 abgedruckt.
Die KAVO hat in der neu eingefügten Anlage 32 für das Jahr 2021 die zulässigen und notwendigen Inhalte einer Dienstvereinbarung bzw. eine einzelvertragliche Vereinbarung zur Kurzarbeit verbindlich bestimmt.
Die kirchlichen Regelungen beachten den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der Abweichungen aus sozialen Gründen zulässt: Alle Mitarbeiter haben auch bei Kurzarbeit Null Anspruch auf angemessenen Entgeltersatz. Besonders schutzwürdige Mitarbeiter, die kein Kurzarbeitergeld erhalten, beispielsweise Auszubildende, geringfügig Beschäftigte usw. sind von der Kurzarbeit ausgenommen und behalten ihren Anspruch auf ungekürzte Vergütung.
Der Anspruch auf Vergütung verjährt nach drei Jahren. Der über den Mindestlohn hinausgehende Betrag verfällt nach sechs Monaten nur, wenn der Dienstgeber den Mitarbeiter in der durch das Nachweisgesetz vorgeschriebenen Form über die Ausschlussfrist informiert und der Mitarbeiter seinen Anspruch nicht in Textform geltend gemacht hat (§ 23 AVR-Caritas; § 47 KAVO-NRW).