Kündigung von Arbeitnehmern wegen häufiger Kurzerkrankungen
1. Stufe: Negative Gesundheitsprognose
Es muss angesichts der bisherigen Fehlzeiten zu erwarten sein, dass auch zukünftig erhebliche Fehlzeiten anfallen werden. Bei einer Kündigung, die auf häufige Kurzerkrankungen gestützt wird, ist zur Erstellung der Gesundheitsprognose regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung bzw. vor Einleitung des Verfahrens zur Beteiligung einer bestehenden Arbeitnehmervertretung zugrunde zu legen (Rn. 23).
Fehlzeiten aufgrund ausgeheilter Krankheiten sind nicht zu berücksichtigen.
2. Stufe: Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher
Interessen
Betriebliche Interessen können beeinträchtigt sein durch
- Störungen des Betriebsablaufs (Ausfall von Beratung und Betreuung, Überlastung der Kollegen)
- Finanzielle Belastungen (Entgeltfortzahlung, Mehrkosten für Krankheitsvertretungen, Einnahmenausfälle)
3. Stufe: Abwägung der Interessen des Arbeitgebers
und des Mitarbeiters
In jedem Fall ist eine Abwägung der beiderseitigen Interessen durchzuführen.
Hier sind zu Gunsten des Mitarbeiters zu berücksichtigen: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter, Familienstand, Unterhaltspflichten, Behinderung oder Schwerbehinderung des Arbeitnehmers, ob Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind und wie lange das Arbeitsverhältnis ungestört verlaufen ist.
Jedoch können erhebliche Störungen des Betriebsablaufs sowie hohe Lohnfortzahlungskosten dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung unzumutbar zu machen.
Belastungsgrenze bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern
Das Bundesarbeitsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen angenommen werden kann, wenn bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer zu erwarten ist, dass pro Jahr für mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlungskosten anfallen werden.1
Im Einzelfall kann aber selbst bei erheblich ungünstigerer Prognose beispielsweise wegen Schwerbehinderung, Unterhaltspflichten und geringen Chancen auf eine andere Beschäftigung eine Kündigung unzulässig sein.2
Belastungsgrenze bei ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmern
Um einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung bilden zu können, müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung rechtfertigen könnte.
- Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann gerechtfertigt sein, wenn aufgrund der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht (Rn. 38).
- Ein gravierendes Missverhältnis kann - vorbehaltlich einer umfassenden Interessenabwägung - einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist bilden, wenn damit zu rechnen ist, der Arbeitgeber werde für mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten müssen (Rn. 39). Arbeitstage, für die Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld besteht, sind nicht zu berücksichtigen.3
Vorheriges betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Vor einer Kündigung wegen Krankheit hat der Arbeitgeber dem Mitarbeiter ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten, in dem zu prüfen wäre, "wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann."
Gesetzlich vorgegeben ist, dass bei Zustimmung des Mitarbeiters die zuständigen Mitarbeitervertretung bzw. Betriebs-/Personalrat, bei schwerbehinderten Beschäftigten außerdem die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen ist. Der Werks- oder Betriebsarzt soll hinzugezogen werden, wenn dies erforderlich ist. Soweit Sozialleistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen, können vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen werden.
Bietet der Arbeitgeber dem Mitarbeiter die Durchführung des BEM nicht ordnungsgemäß an oder wird das BEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist die Kündigung in aller Regel unwirksam.4
Jedoch gilt sie als wirksam, wenn der Mitarbeiter nicht binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage bei dem Arbeitsgericht erhebt (§ 4 Kündigungsschutzgesetz).
1 BAG, Urteil vom 23.01.2014 - 2 AZR 582/13, Rn. 27.
2 BAG, Urteil vom 20.01.2000 - 2 AZR 378/99.
3 BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 2 AZR 6/18.
4 BAG, Urteil vom 13.05.2015 - 2 AZR 565/14, Rn 28.