Haftung freier Träger und Mitarbeitervertreter wegen fehlerhafter rechtlicher Beratung
Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil vom 13.11.2019 - 4 U 38/19
Der Kläger hatte Schulden in Höhe von ca. 5.000 Euro. Der Wert seines Hausgrundstücks lag bei über 15.000 Euro.
Er suchte im März 2015 eine anerkannte Schuldnerberatungsstelle auf. Nachdem eine außergerichtliche Schuldenregulierung gescheitert war, schlug der Schuldnerberater die Durchführung eines Insolvenzverfahrens vor. Er wies nicht darauf hin, dass dessen Kosten höher sein könnten als bei Verwertung des Hausgrundstücks durch Verkauf, Zwangsversteigerung usw.
Nach Durchführung des Insolvenzverfahrens, in dessen Verlauf das Hausgrundstück freihändig verkauft wurde, hatte der Kläger dem Insolvenzverwalter ca. 11.400 Euro, dem Gericht ca. 1.000 Euro und seinem Anwalt ebenfalls rund 1.000 Euro zu zahlen.
Er hat beantragt, die Schuldnerberatungsstelle und den Schuldnerberater zu verurteilen, den Schadensbetrag von ca. 13.400 Euro zu zahlen.
Das Oberlandesgericht verurteilte die Schuldnerberatungsstelle zur Zahlung dieses Betrags. Die Klage gegen den vertretungsberechtigten Vorstand der Beratungsstelle, der den Kläger beraten hatte, wies das Gericht ab.
- Eine anerkannte Schuldnerberatungsstelle übt Rechtsdienstleistungen im Sinne des § 2 Rechtsdienstleistungsgesetzes aus.
- Ein Vertrag über die Inanspruchnahme von Schuldnerberatung kommt schon dann zustande, wenn für die Beratungsstelle erkennbar ist, dass die Beratung für den Ratsuchenden von erheblicher Bedeutung ist und dieser sie zur Grundlage einer wesentlichen Entscheidung machen will (Rn. 25). Die Beratungsstelle übernimmt dadurch die Pflicht zur unentgeltlichen Beratung (§ 675 BGB: Auftrag).
- Schuldnerberater sind wie andere zur Rechtsberatung zugelassene Personen (Rechtsanwälte, Rechtsbeistände, sonstige zugelassene Berater) verpflichtet, die Sache umfassend rechtlich zu prüfen und geeignete Schritte zu empfehlen bzw. zu ergreifen, um den Ratsuchenden vor Schaden zu bewahren (Rz. 27). Schuldhaft fehlerhafte Beratung durch einen Berater verpflichtet die Beratungsstelle zum Schadensersatz nach § 280 BGB. Für den Umfang der Pflichten spielt die Unentgeltlichkeit keine Rolle (Rn 29).
Anmerkung: Das Urteil hat nicht nur Bedeutung für anerkannte Schuldnerberatungsstellen, sondern für alle caritativen Rechtsträger, Mitarbeiter und Mitarbeitervertretungen, die Rechtsdienstleistungen erbringen. Eine Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, die eine besondere rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert (§ 2 Abs. 1 RDG).
Rechtsdienstleistungen im Rahmen der Erfüllung caritativer Aufgaben
Im Bereich der Caritas dürfen alle Einrichtungen und deren Mitarbeiter Rechtsdienstleistungen im Rahmen ihres Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs erbringen (§ 8 Abs. 1 RDG): Ihnen wird gestattet, Rat- und Hilfesuchende über ihre Rechte und Pflichten zu informieren, zu beraten und außergerichtlich zu vertreten z. B. mit Behörden, Arbeitgebern, Mietern zu verhandeln.
Beispiele: Mitarbeiter in der Sozialberatung, der Familien-, Behinderten- und Wohnungslosenhilfe sowie in Frauenhäusern dürfen Betroffene rechtlich informieren und beraten, wenn der Betroffene mit einer rechtlichen Problematik überfordert ist.
Die Einrichtung hat die sachgerechte Erbringung sicherzustellen (§ 7 Abs. 2 RDG). Dafür reicht es aus, dass Mitarbeiter sich im Bedarfsfall beraten lassen können.
Rechtsdienstleistungen der Mitarbeitervertretungen
Mitarbeiter- und Schwerbehindertenvertretungen dürfen alle Rechtsdienstleistungen erbringen, zu denen die MAVO sie verpflichtet (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 RDG): Mitarbeitervertreter haben u. a. ratsuchende Mitarbeiter rechtlich qualifiziert zu informieren und - auf der Basis vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Dienstgeber - eine einrichtungsinterne Konfliktlösung anzustreben, um eine konfrontative Auseinandersetzung im Schlichtungsverfahren oder vor dem Arbeitsgericht möglichst zu vermeiden (§ 26 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 MAVO).1 Den Mitarbeitervertretungen ist damit eine Schüsselrolle für die Vermeidung von Störungen des Betriebsklimas zugewiesen.
Den Anspruch des Mitarbeiters auf qualifizierte rechtliche Information wird selbst eine engagierte Mitarbeitervertretung nicht immer erfüllen können, wenn es um schwierigere Rechtsfragen geht. Um aber auch in diesen Fällen qualifiziert beraten und helfen zu können, hat der kirchliche Gesetzgeber den Diözesanen Arbeitsgemeinschaften die Aufgabe übertragen, Mitarbeitervertretungen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach der MAVO allgemein und auf Anfrage im Einzelfall zu beraten (§ 25 Abs. 2 Nr. 2 MAVO).
Mitarbeitervertreter, die eine rechtliche Beratung und Vertretung trotz bestehender Pflicht ablehnen, unterlassen bzw. fehlerhaft beraten, können zum Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB verpflichtet sein; denn die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung bei Beschwerden des Mitarbeiters, bei Eingruppierungen, Versetzungen, Kündigungen usw. sind zugleich Schutzpflichten zugunsten der Mitarbeiter. Das ist allgemein anerkannt.2
1 Bundesrats-Drucksache 623/06, Seite 103.
2 Oxenknecht-Witzsch, MAVO, 2018, § 5, Rn 26; Thiel in Thiel/Fuhrmann/Jüngst, MAVO, 2019,
§ 5 Rn 35; Thüsing in: Richardi, BetrVG, 2018, § 26, Rn 13.