Grundrecht auf Betteln
- Betteln besteht in der an einen beliebigen Fremden gerichteten Bitte um Gewährung eines geldwerten Geschenks unter Behauptung der Bedürftigkeit des Bettelnden selbst, eines Angehörigen oder einer sonst nahestehenden Person. Dabei kann die Bitte nach einer solchen Zuwendung auf unterschiedlichste Weise kundgetan werden.
- Der Antragsteller ist "Bettler" im Sinne der Allgemeinverfügung, weil er durch eidesstaatliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, dass er regelmäßig Bettelhandlungen in verschiedenen Ausführungsformen und mit unterschiedlicher Intensität vornimmt und auf die damit erzielten Bettelerlöse zur "Aufstockung" seiner Arbeitslosengeld II-Leistungen angewiesen ist.
- Richtet sich eine behördliche Anordnung an einen rechtsunkundigen Personenkreis, der zudem häufig über keinen festen Wohnsitz und damit über wenig Hab und Gut verfügt, muss sich der Verbotsinhalt umso klarer unmittelbar aus der Anordnung ergeben.
- Ein Mensch kann auch dann "Bettler" sein, wenn er eine Wohnung aus eigenen Mitteln angemietet hat; denn das Bettelverbot richtet sich nicht nur an Obdachlose, sondern an alle Personen, die betteln.
- Unterschieden werden das stille und das aktive Betteln. Das aktive Betteln wird untersagt: Jedoch ist nicht deutlich genug zu erkennen, welche Bettelhandlungen nunmehr verboten und welche weiterhin erlaubt sind.
Stilles Betteln wird auf dem Boden sitzend oder stehend wahrgenommen. Der Bettler steht einzeln und stillschweigend am Straßenrand ohne Behinderung des Fußgängerverkehrs und weist - etwa unter Zuhilfenahme eines in der Hand gehaltenen Schildes - auf seine Bedürftigkeit hin oder streckt den vorübergehenden Fußgängern demütig die geöffnete Hand, einen Hut oder eine Büchse entgegen (stilles Demutsbetteln).
Aktives Betteln erfolgt in der Regel stehend oder wegbegleitend und unter Ansprache der Passantinnen und Passanten. Es liegt vor, wenn auf die Bedürftigkeit durch Verhalten, wie nachhaltiges bzw. fortwährendes, auch nach Ablehnung weiterhin gezieltes Ansprechen oder Aufhalten von Dritten, sowie das Nebenhergehen bzw. das aktive Verfolgen von Dritten oder andere aufmerksamkeitserregende Handlungsweisen aus, die zum Zwecke der Erlangung von Bettelerlösen dienen.
Durch diese Abgrenzung wird die oftmals fließende Grenze von aktivem Betteln zu aggressivem Betteln präventiv vermieden. Passanten werden durch Ansprachen und Umlaufen der im Weg stehenden bettelnden Personen nicht eingeschränkt oder belästigt. Für die Dienstkräfte wird deutlich ersichtlich, wenn sich eine Gefahr der Störung anbahnt.
- Betteln unterliegt grundsätzlich dem straßen- und wegerechtlichen Gemeingebrauch. Sofern durch das stille Betteln im Sitzen keine Verkehrsbehinderung eintritt, ist es als Gemeingebrauch erlaubt.
Anmerkung: In zahlreichen Kommunen gelten Straßensatzungen oder ordnungsbehördliche Verordnungen, die inhaltlich der Allgemeinverfügung der Stadt Krefeld weitgehend entsprechen bzw. darüber hinausgehen und Betteln als eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verbieten.
Es fällt auf, dass die deutschen Verwaltungsgerichte sich bisher ausschließlich mit der Frage befasst haben, ob der Bettler die Straße über das erlaubte Maß nutzt oder ob er die öffentliche Ordnung stört; denn die Einschränkungen und das Verbot des Bettelns greifen unmittelbar in die Grundrechte, die Handlungsfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Äußerungsfreiheit der Bettler ein, so dass sich stets die Frage stellt, ob überwiegende allgemeine Interessen oder ob beispielsweise das Interesse der Fußgänger, von Bettlern nicht angesprochen zu werden, das Interesse der Bettler, ihr Leben aus sehr unterschiedlichen Beweggründen nach ihren Vorstellungen zu gestalten und ihren Lebensunterhalt zu sichern, überwiegen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das Betteln als ein nach Art. 8 geschütztes Menschenrecht anerkannt; denn das Recht auf Privatleben umfasse auch das Recht, im öffentlichen Bereich Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen und zu unterhalten. Ein Bettelverbot gegenüber einer Person, die über keine Existenzmittel verfügt, könne weder durch Berufung auf das Ziel der Bekämpfung der organisierten Kriminalität noch allein wegen der Rechte von Passanten, Anwohnern und Geschäftsinhabern gerechtfertigt werden.1
Das Bundesverfassungsgericht hat vor 20 Jahren festgestellt: Die deutschen Gerichte sind verpflichtet, die Entscheidungen des EGMR zu berücksichtigen.2
"Tipps für den Umgang mit bettelnden Menschen":
1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 19.01.2021 - 14065/15;
dazu ausführlich Würkert: Grundrechtsarmut? Von rechtswidrigen Bettelverboten
(www.juwiss.de/72-2023).
2 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04, Rn 47.