Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge, Zugewanderte und "Menschen ohne Papiere"
Übersicht
1. Allgemeiner Anspruch auf Akutbehandlung und Akutversorgung
2. Leistungen zur Akutbehandlung und Akutversorgung
3. Weitergehende Leistungspflicht
4. Umsetzung des Gesetzes durch die Bundesländer
5. Problematik der gesetzlichen Notfallhilfe und niedrigschwellige
Hilfen
6. Gesetzliche Notfallhilfe und niedrigschwellige Hilfen
Jeder Mensch hat zwar Anspruch auf das menschenwürdige Existenzminimum (Art.1 Abs. 1 GG) und damit auf die unabweisbare medizinische und pflegerische Hilfe:"Der elementare Lebensbedarf eines Menschen … muss in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht." (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, Rn 72; LSG NRW, Beschluss vom 09.05.2014 - L 20 AY 91/13 B). Jedoch muss das Sozialamt die Daten des Leistungsempfängers dem Ausländeramt mitteilen (Datenabgleich nach § 11 Abs. 3 AsylblG). Da das Amt ausländerrechtliche Maßnahmen bis hin zur Abschiebung verfügen könnte, sehen ausreisepflichtige Ausländer häufig davon ab, sich an das Sozialamt zu wenden (siehe Abschnitt 2).
In Nordrhein-Westfalen bestehen fünf Clearingstellen, die betroffene Menschen, Ärzte und Einrichtungen über eine Absicherung der Gesundheitsversorgung über eine Krankenversicherung bzw. die Klärung einer anderen Kostenübernahme beraten. Ist ein Zugang zur gesetzlichen medizinischen Versorgung nicht möglich, werden die Menschen über andere Beratungs- und Hilfsstrukturen informiert und evtl. übergeleitet.
Clearingstelle Dortmund |
Clearingstelle Duisburg |
Clearingstelle Gelsenkirchen |
Clearingstelle Köln |
Clearingstelle Münster |
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Einrichtung |
Soziales Zentrum |
AWO-Integrations gGmbH |
Diakoniewerk |
Gesundheitsamt |
Caritas |
Telefon-Nr. |
0231/840330 |
0203/40000-102 |
0209/95660778 |
0221/22124237 |
0251/53009- 764 |
1. Allgemeiner Anspruch auf Akutbehandlung und
Akutversorgung
Alle Ausländer, die sich in der BRD aufhalten, auch Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung, haben Anspruch auf ärztliche und zahnärztliche Behandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz; denn leistungsberechtigt sind nach § 1 AsylblG:
- Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG),
- Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 23 Abs. 1, 24, 25 Abs. 4 oder 5 AufenthG,
- Ausländer mit einer Duldung nach § 60a AufenthG,
- Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
- Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 4 genannten Personen, auch wenn sie nicht selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, oder
- Ausländer, die einen Folgeantrag nach § 71 des Asylgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylgesetzes stellen.
Nach Nr. 4 sind auch alle "Menschen ohne Papiere" leistungsberechtigt, die nicht eingereist sind, um Asyl zu erlangen. Jedoch sind die Sozialämter zur Information der Ausländerämter verpflichtet, wenn ein Ausländer, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt, Leistungen beantragt (§ 87 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).
2. Leistungen zur Akutbehandlung und Akutversorgung
(§ 4 Abs. 2)
Der Anspruch auf Krankenversorgung umfasst nach § 4 Absatz 2 AsylblG:
- ärztliche und zahnärztliche Behandlung bei akuten plötzlich aufgetretenen Erkrankungen und Schmerzzuständen,
Leistungen bei bestehenden chronischen Erkrankungen werden nur gewährt, wenn ein akuter Behandlungsbedarf oder Schmerzzustand besteht, also eine Behandlung aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Auch eine erforderliche Dauertherapie zur Vermeidung einer akuten Verschlechterung oder des Eintritts in ein kritisches Stadium kann gewährt werden (Bundesrahmenempfehlung zur Übernahme der Krankenbehandlung für Empfänger von Gesundheitsleistungen nach §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz). - Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln sowie Gewährung sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen,
- amtlich empfohlene Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen.
Werdende Mütter und Wöchnerinnen haben einen uneingeschränkten Anspruch auf ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel (§ 4 Absatz 2 AsylbLG).
3. Weitergehende Leistungspflicht (§ 6 Abs. 1 und 2)
Reichen im Einzelfall die Leistungen nach § 4 Absatz 1 oder Absatz 2 AsylbLG nicht aus und sind weitere Leistungen "zur Sicherung [...] der Gesundheit unerlässlich" oder "zur Deckung der besonderen Bedürfnisse von Kindern geboten", kann die zuständige Behörde weitere Leistungen gewähren (§ 6 Absatz 1 AsylbLG).
Sie muss die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe gewähren, wenn ihr Ermessen im Einzelfall z. B. aus europa- oder verfassungsrechtlichen Gründen "auf null" reduziert ist.
Beispiele: Hörgeräte und Brillen, wenn ohne sie Kommunikation und/oder örtliche Orientierung erheblich beeinträchtigt ist, Medikamente zur Linderung unerträglicher Schmerzen bzw. unzumutbarer Folgen bei chronischer Erkrankung, Krankenkost, Umstandskleidung, Babyerstausstattung, Kinderwagen, Sonderbedarf an Bekleidung, Wäsche und Schuhen bei Krankheit, Behinderung, Übergewicht, Bestattungskosten.
Auch Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG besitzen und die besondere Bedürfnisse haben wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige sowie Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, steht die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu (§ 6 Abs. 2 AsylblG).
4. Anspruchseinschränkungen und deren Dauer
(§ 1a und § 14)
Das Sozialamt kann die Leistungen nach § 6 in den Fällen des § 1a für die Dauer von sechs Monaten einschränken. Im Anschluss ist die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden (§§ 1a und 14).
Keinen Anspruch auf Leistungen nach § 6 haben u. a. Leistungsberechtigte,
- für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, die Ausreise aber aus Gründen, die sie zu vertreten haben, nicht durchgeführt wurde (§ 1a Abs. 1),
- Personen, die in die Bundesrepublik eingereist sind, um Leistungen nach dem AsylblG zu erlangen (§ 1a Abs. 2),
- Leistungsberechtigte, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (§ 1a Abs. 3),
- Leistungsberechtigte, für die ein anderer EU-Staat oder Drittstaat zuständig ist (§ 1a Abs. 4),
- Leistungsberechtigte, die ihre Mitwirkungspflichten nach dem Asylgesetz verletzen (§ 1a Abs. 5),
- Leistungsberechtigte, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig Vermögen, das vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen ist, nicht angeben oder nicht unverzüglich mitteilen (§ 1a Abs. 6),
- Leistungsberechtigte, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung angeordnet wurde, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist (§ 1a Abs. 7).
5. Uneingeschränkte Leistungspflicht nach 18 Monaten
rechtmäßigen Aufenthalts
Leistungsberechtigten, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, hat das Sozialamt die Hilfen zur Gesundheit und zur Pflege nach §§ 47ff. und 61ff. SGB XII bzw. nach dem Teil 2 des SGB IX Teil 2 zu erbringen (§ 2 Abs. 1): Die Leistungsberechtigung beruht weiterhin auf dem AsylblG. Jedoch werden die Gesundheitsleistungen von den Sozialämtern nach den allgemeinen Vorschriften über die Sozialhilfe bzw. Behindertenhilfe ohne Einschränkungen des Behandlungsanspruchs erbracht (Analogleistungen).
Rechtmissbräuchlich ist nicht jedes rechtswidrige Verhalten. So können zwar die Vernichtung des Passes, die Angabe einer falschen Identität oder eine falsche Angabe des Alters sowie das Untertauchen zur Vermeidung einer Abschiebung, aber nicht ein kurzfristiger Verstoß wie das verspätete Einreichen von Dokumenten den dauerhaften Ausschluss von Analogleistungen rechtfertigen. Es kommt stets darauf an, ob im Einzelfall bei Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Verhalten unentschuldbar (sozialwidrig) ist. Selbst bei Annahme eines Rechtsmissbrauchs müssen die zur Sicherung der Gesundheit unerlässlichen Leistungen gewährt werden (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.02.2018 - L 8 AY 16/17 B ER, Rn 26ff).
6. Gesetzliche Notfallhilfe und niedrigschwellige Hilfen
Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser, die in einer akuten Notlage tätig werden und Notfallhilfe leisten, haben einen Aufwendungsersatzanspruch gegen das Sozialamt (§§ 6a und 6b AsylbLG). Mit dieser Regelung sollte die Behandlung der Menschen ohne Papiere gesichert werden.
In der Praxis hat die Regelung kaum Bedeutung erlangt; denn aus Furcht vor der Aufdeckung ihres Status sehen insbesondere "Menschen ohne Papiere" häufig davon ab, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen, insbesondere Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus, deren Visum abgelaufen ist, die keinen Asylantrag gestellt haben oder deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt ist sowie Opfer von Menschenhandel.
Zwar sind die behandelnden Personen - Arzt, Krankenschwester, Sozialarbeiter usw. schweigepflichtig, wenn sie in ihrer beruflichen Eigenschaft vom irregulären aufenthaltsrechtlichen Status Kenntnis erlangt haben (§ 88 Absatz 1 und 2 AufenthG). Auch gilt ein "verlängerter Geheimnisschutz", wenn öffentliche Stellen (etwa Sozialämter, Gesundheitsbehörden oder öffentliche Krankenhäuser) von personenbezogenen Daten im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit, etwa zwecks Kostenabrechnung, Kenntnis erhalten (§ 88 Absatz 2 AufenthG).
Ausnahme: Eine Informationspflicht besteht bei Drogenkonsum, aber auch nur, wenn der Ausländer zu einer erforderlichen Rehabilitation nicht bereit ist, sowie zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib und Leben des Ausländers oder Dritter (§ 88 Abs. 2 AufenthG).
Jedoch vertrauen die beteiligten Personen den gesetzlichen Regelungen nicht. Hinzu kommt, dass die beteiligten Personen und Stellen eine Kostenerstattung nur in einem Bruchteil der Fälle erhalten.
Kranken Menschen, die im Notfall sonst keine medizinische Behandlung erhalten würden, bieten niedrigschwellige medizinische Anlaufstellen ihre Hilfe an.
Verzeichnis der Anlaufstellen im Bundesgebiet:
https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/medizin._Anlaufstellen_Dtland___002_.pdf
Verzeichnis der Standorte der "Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung vor Ort":
https://www.malteser.de/menschen-ohne-krankenversicherung/unsere-standorte.html