Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung: Aufdeckung der Identität eines Missbrauchsopfers
- Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schützt die Entscheidung darüber, wann und innerhalb welcher Grenzen ein Mensch persönliche Lebenssachverhalte Dritten offenbaren möchte. Hierunter fällt u. a. das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten, die der Sozial- und Privatsphäre angehören.
- Die Zahlung einer Geldentschädigung kann nur bei schwerwiegender Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlangt werden. Ob eine Verletzung schwerwiegend ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen.
Arbeitsgericht Trier, Urteil vom 06.09.2023 - 1 Ca 129/23.
Zum Sachverhalt
Die Klägerin ist seit dem Jahr 1983 bei einem Bistum beschäftigt. Ihre Klage richtet sich gegen den Bischof und gegen das Bistum. Sie verlangt ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens ca. 20.000 Euro.
Beginnend ab Sommer 1989 ist die Klägerin von einem Priester sexuell missbraucht worden. Das ist von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums anerkannt worden.
Seit 2020 berichtete die Klägerin unter dem Pseudonym D öffentlich über den sexuellen Missbrauch. Es gab bundesweit zahlreiche Presseberichte, auch einen Buchbeitrag der Klägerin, in denen sie schildert, dass sie Ende des Jahres 1989 schwanger wurde und von einem mit dem Priester befreundeten weiteren Priester im Rahmen eines Beichtgesprächs zum Schwangerschaftsabbruch gedrängt worden sei.
Im März 2022 fand eine Videokonferenz des Bistums statt, an der ca. 35 bis 40 Priester, Diakone und Pastorale Mitarbeitende teilnahmen. Im Verlauf des Gesprächs nannte ein Teilnehmer den Namen des Priesters, der die Klägerin zur Abtreibung gedrängt hatte. Darauf verwendete der Bischof den Klarnamen der Klägerin, der zahlreichen Teilnehmenden nicht bekannt war.
Der Bischof verpflichtete sich auf Aufforderung der Klägerin eine Woche später, die Nennung des Klarnamens zu unterlassen und ließ ihr ca. zwei weitere Wochen später ein Entschuldigungsschreiben zukommen.
Die Entscheidung
Der Klägerin steht nach der Entscheidung des Gerichts ein Anspruch auf Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu, das aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird.
Verletzt wurde das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung als Teilbereich ihres Persönlichkeitsrechts. Dieses Recht schützt die Entscheidung darüber, wann und innerhalb welcher Grenzen sie persönliche Lebenssachverhalte offenbaren möchte, die ihrer Sozial- und Privatsphäre angehören.
Die Bedeutung des Eingriffs ist hoch anzusetzen, weil die Nennung des Klarnamens Informationen über in höchstem Maße private Lebensbereiche der Klägerin offenlegt: Missbrauch, Schwangerschaft, Abtreibung, andauernde psychische Belastung und aktueller Gesundheitszustand.
Bei der Beurteilung der Tragweite des Eingriffs ist u. a. einerseits von Bedeutung, dass der Kreis der Teilnehmenden beschränkt war, anderseits aber auch, dass keine Schweigepflicht bestand und damit für die Klägerin dauerhaft und bei jedem Kontakt mit einem Menschen nicht mehr erkennbar ist, ob und was dieser über ihre in höchstem Maße private Lebensbereiche weiß.
Einen Anlass oder Beweggrund für die Nennung des Klarnamens ist vom Bischof nicht geltend gemacht worden.
Bei der Bestimmung des Grads seines Verschuldens ist zu berücksichtigen, dass er die Klägerin nicht bewusst schädigen wollte, sondern in der Gesprächssituation spontan nicht bedacht hat, dass nicht alle Teilnehmenden den Klarnamen kannten.
Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erschien dem Gericht eine Geldentschädigung in Höhe von 20.000 Euro, wie von der Klägerin beantragt, angemessen.
Bischof und Bistum haben keine Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt und die Entschädigung zehn Wochen später gezahlt.
Anmerkung
Das Urteil macht deutlich, dass Mitarbeitende bei Datenschutzverstößen des Dienstgebers nicht auf die Regelungen des KDG beschränkt sind. Sie können alle Rechtsschutzmöglichkeiten wahrnehmen, die staatliche, für alle geltenden Gesetze bieten. Deshalb hat die Klägerin ihre Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB bei dem staatlichen Arbeitsgericht eingeklagt und durchgesetzt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.06.2017 - 6 AZR 495/16, Rn 9, 10).
Sie hat auch die Kirchliche Datenschutzaufsicht eingeschaltet, die den Bischof und die Bistumsleitung zur Teilnahme an einer Datenschutzschulung verpflichtete (§ 47 Abs. 7 KDG).