Erweitertes Führungszeugnis: Vorlagepflicht in der Kinder- und Jugendhilfe
Insoweit besteht nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm weder eine gesetzliche noch eine arbeitsvertragliche Vorlagepflicht.
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 26.01.2018 - 10 Sa 1122/17
Sachverhalt: Der Kläger ist als Mitarbeiter der Verwaltung seit 1978 rein kaufmännisch, zuletzt in der Geschäftsstelle des beklagten freien Trägers der Jugend- und Sozialhilfe tätig.
Er führt mit den Vermietern Verhandlungen ab und schließt Mietverträge über die Wohnungen ab, in denen Jugendliche während einer Jugendhilfemaßnahme wohnen sollen. Mit Jugendlichen kommt er nicht in Kontakt; denn seine Kollegen erledigen die praktische Arbeit vor Ort, die Besichtigung der Wohnungen sowie die Herstellung des persönlichen Kontakts der Jugendlichen mit den Vermietern. Er übernimmt zwar anschließend die gesamte juristische Abwicklung der Verträge, die zwischen dem Vermieter und dem Träger abgeschlossen werden. Dafür benötigt er weder Name und Geburtsdatum, noch sonstige Daten der Jugendlichen.
Nur vereinzelt kann es vorkommen, dass minderjährige Jugendliche einen Nutzungsvertrag abschließen, wenn sie über die Dauer ihrer Maßnahmen in den angemieteten Wohnungen weiterhin wohnen. In diesen Fällen werden in den Nutzungsverträgen Name, Geburtsdatum und Adresse der Jugendlichen/jungen Erwachsenen aufgeführt. Zu den weiteren vereinbarten Tätigkeiten des Klägers gehören die Verhandlung und der Abschluss von Leistungs- und Entgeltvereinbarungen mit öffentlichen Trägern sowie die Vereinbarung und der Abschluss von Versicherungsverträgen.
Der beklagte Träger hat ein Intranet-Portal, auf das auch der Kläger Zugriff hat. Diesem Intranet-Portal können Name, Geburtsdatum, die Art der Maßnahme sowie unter Umständen auch der Wohnort der Jugendlichen entnommen werden. Ärztliche Gutachten, Entwicklungsberichte oder Hilfeprotokolle finden sich im Intranet nicht.
Entscheidung des Gerichts
- Die Träger von Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe müssen sich von allen Beschäftigten, die nicht nur gelegentlich Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen haben, vor Aufnahme der Tätigkeit und während der Beschäftigung regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis gemäß § 30a BRZG vorlegen lassen.
- Ergibt sich aus dem Führungszeugnis, dass der Bewerber/Mitarbeiter wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuches rechtskräftig verurteilt worden ist, darf er nicht eingestellt/nicht beschäftigt werden (§ 72a Abs. 2 SGB VIII).
- Ein erweitertes Führungszeugnisses haben nur Personen vorzulegen, die Tätigkeiten ausüben, bei der sie beruflich/ehrenamtlich in der Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger Kontakt mit Minderjährigen aufnehmen oder ein vergleichbares Vertrauensverhältnis aufbauen können (§ 30a BZRG; § 72a Abs. 3 SGB VIII).
- Die gesetzliche Vorlagepflicht besteht aber nur dann, wenn ein Mitarbeiter regelmäßig, arbeitsplatzgemäß oder bestimmungsgemäß Kenntnis von hochsensiblen Daten über Kinder- und Jugendliche erlangt.
- Aus § 241 Abs. 2 BGB könnte sich zwar eine vertragliche Verpflichtung ergeben, dem Träger Auskünfte zu Fragen zu erteilen, die im Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit stehen und die sich der Träger auf andere zumutbare Art nicht beschaffen kann. Soweit aber keine gesetzliche Vorlagepflicht besteht, kann ein Träger regelmäßig die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nicht verlangen; denn er würde dadurch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen, das er aufgrund des Arbeits-/Dienstvertrags zu beachten hat (§ 241 Abs. 2 BGB; Rn 31 der Urteilsbegründung).
Anmerkung: Bei Mitarbeitern in der caritativen Jugendhilfe, ehrenamtlichen Mitarbeitern in Kirchengemeinden, Küstern, Organisten, Hausmeistern usw. ist im Einzelfall darauf abzustellen, inwieweit es zu besonderen regelmäßigen und nicht nur gelegentlichen Kontakten mit Kindern und Jugendlichen kommt (Rn 38).
Mitarbeiter, die nur theoretisch und hypothetisch die Möglichkeit haben, durch Zugriff auf Akten einige Informationen über Kinder/Jugendliche zu erlangen, sind nicht zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verpflichtet.
Beispiele: Mitarbeiter in der Verwaltung, Technik oder Hauswirtschaft.
Hat ein Mitarbeiter eine Verurteilung, die in das erweiterte Führungszeugnis aufzunehmen ist, bei der Bewerbung bewusst verschwiegen, kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 BGB).
Oft wird auch eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.