Corona-Schutzimpfung eines Kindes: Sorgerecht der Eltern, Einwilligungsfähigkeit des 16-jährigen Kindes, gerichtliche Entscheidung
Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.08.2021 - 6 UF 120/21
Die geschiedenen Eltern eines 2005 geborenen Kindes üben gemeinsam die elterliche Sorge aus. Bei dem fast 16-Jährigen liegt gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) aufgrund von Vorerkrankungen eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff vor.
Vater und Kind befürworten eine Impfung, die Mutter ist damit nicht einverstanden und bezeichnet die Impfung u. a. als "Gentherapie", die zu mehr Todesfällen als die Erkrankung führe und hat die Einholung von Sachverständigengutachten beantragt. Auf Antrag des Vaters vom 10.06.2021 hat das Amtsgericht ein Verfahren der einstweiligen Anordnung eingeleitet und für das betroffene Kind einen Verfahrensbeistand bestellt.
Das Amtsgericht hat den 16-jährigen Minderjährigen am 22.06.2021 im Beisein des Verfahrensbeistands persönlich angehört. Der Minderjährige hat dabei bekräftigt, geimpft werden zu wollen. Als Gründe hierfür hat er angegeben, dass er seine Eltern und sich selbst schützen wolle. Seine Eltern seien Risikopatienten aufgrund ihres Bluthochdrucks. Zudem wolle er, sollte es zu einem erneuten Lockdown kommen, ohne Test einkaufen und zum Frisör gehen. Auch angesichts zweier in den Sommerferien geplanter Urlaube mit den Eltern, welche beide im Ausland stattfinden sollen, wolle er geimpft werden, damit die Testpflicht entfiele. Er hat weiter erklärt, dass er auch von anderen Jugendlichen wisse, dass es mögliche Nebenwirkungen, wie Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen als Folge der Impfung gäbe. Er sei auch im vergangenen Jahr anderweitig geimpft worden und habe die beiden Impfdosen gut vertragen. Auch seine ältere Schwester, welche in einem Krankenhaus arbeite, sei bereits vollständig geimpft. Nach Einschätzung der Familienrichterin des Amtsgerichts machte der Minderjährige bei der Anhörung einen reifen und reflektierten Eindruck.
Sie hat dem Vater im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes übertragen. Die erste Impfung des Kindes ist mittlerweile erfolgt.
Die Mutter legte Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde der Mutter zurück und stellte fest:
- Ein 16-Jähriger ist in der Regel aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung in der Regel im Stande, sich eine eigenständige Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona-Schutzimpfung zu bilden.
- Bei der Corona-Schutzimpfung handelt es sich um einen "nicht geringfügigen medizinischen Eingriff, der für das Kind von erheblicher Bedeutung" ist. Deshalb ist außer der Einwilligung des minderjährigen Sohnes auch die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern erforderlich.
- Wenn sich Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung diesem allein übertragen werden (§ 1628 Satz 1 BGB).
- Die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die STIKO und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.
Die Entscheidung ist im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abrufbar.