Betreuungsrecht 2023
1. Neufassung des Betreuungsrechts
Die "zentrale Norm des Betreuungsrechts" ist § 1821 BGB: Sie bestimmt, dass die Bestellung des Betreuers und die Führung der Betreuung nur zulässig ist, soweit sie erforderlich sind, um die Wahrung der Interessen gemäß den Wünschen des Betreuten zu gewährleisten.
Die Wünsche des Betreuten stehen dabei im Vordergrund. Der Betreuer hat sie festzustellen und ihnen zu entsprechen.
2. Bestellung zum Betreuer
Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden. Deshalb ist die Bestellung eines Betreuers ohne Zustimmung des Betroffenen nur zulässig, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu besorgen.
Eine rechtliche Betreuung darf nur angeordnet werden, wenn ein Volljähriger seine Angelegenheiten wegen einer Krankheit oder Behinderung ganz oder teilweise rechtlich nicht besorgen kann und ein tatsächlicher Unterstützungsbedarf besteht. Eine Bestellung ist nicht zulässig,
- wenn es ausreicht, dass der Betroffene einer geeigneten Person Vollmacht erteilt für die Vertretung und Erledigung bestimmter Angelegenheiten z. B. zur Abwicklung einer Erbschaft.
- wenn der Betroffene durch vorgelagerte sozialrechtliche Hilfen ausreichend versorgt wird/werden kann (§ 1814 Abs. 3 BGB).
Beispiele: Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung nach dem SGB IX, Alltagsbegleiter für Menschen mit Pflegebedarf usw.
3. Umfang der Betreuung
Der bzw. die Aufgabenbereiche des Betreuers dürfen vom Betreuungsgericht nur angeordnet werden, wenn und soweit dessen Wahrnehmung durch den Betreuer erforderlich ist. Deshalb ist eine Betreuung in allen Angelegenheiten in aller Regel unzulässig (§ 1815 Abs. 1 BGB n. F.).
Die folgenden, besonders wichtigen Entscheidungen darf der Betreuer nur treffen, wenn sie als Aufgabenbereich vom Betreuungsgericht ausdrücklich angeordnet sind:
- eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betreuten nach § 1831 Absatz 1,
- eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des § 1831 Absatz 4, unabhängig davon, wo der Betreute sich aufhält,
- die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Betreuten im Ausland,
- die Bestimmung des Umgangs des Betreuten,
- die Entscheidung über die Telekommunikation des Betreuten einschließlich seiner elektronischen Kommunikation,
- die Entscheidung über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten der Post des Betreuten.
4. Auswahl des Betreuers und Übernahmepflicht
Wünscht der Volljährige eine Person als Betreuer, oder lehnt er eine bestimmte Person als Betreuer ab, so ist diesem Wunsch zu entsprechen, es sei denn, die gewünschte Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet bzw. die Ablehnung richtet sich nicht gegen die Person, sondern gegen die Betreuung (§ 1816 Abs. 2 BGB).
Schlägt der Volljährige niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so sind bei der Auswahl des Betreuers vorrangig Ehegatten, Eltern und Kinder, seine persönlichen Beziehungen, aber auch die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen (§ 1816 Abs. 3 BGB).
Zum ehrenamtlichen Betreuer soll eine Person, die keine familiäre Beziehung oder persönliche Bindung zu dem Volljährigen hat, nur dann bestellt werden, wenn sie mit einem anerkannten Betreuungsverein oder mit der zuständigen Behörde eine Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung gemäß §§ 14 oder 15 des Betreuungsorganisationsgesetzes geschlossen hat (§ 1816 Abs. 4 BGB).
Die vom Betreuungsgericht ausgewählte Person ist verpflichtet, die Betreuung zu übernehmen, wenn ihr die Übernahme unter Berücksichtigung ihrer familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse zugemutet werden kann (§ 1819 BGB).
Ein beruflicher Betreuer soll nur dann zum Betreuer bestellt werden, wenn keine geeignete Person für die ehrenamtliche Führung der Betreuung zur Verfügung steht. Bei der Entscheidung, ob ein bestimmter beruflicher Betreuer bestellt wird, sind die Anzahl und der Umfang der bereits von diesem zu führenden Betreuungen zu berücksichtigen (§ 1816 Abs. 5 BGB).
Eine Person, die zu einem Träger von Einrichtungen oder Diensten, der in der Versorgung des Volljährigen tätig ist, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung steht, darf nicht zum Betreuer bestellt werden. Dies gilt nicht, wenn im Einzelfall die konkrete Gefahr einer Interessenkollision nicht besteht (§ 1816 Abs. 6 BGB).
Das Betreuungsgericht bestellt einen anerkannten Betreuungsverein zum Betreuer, wenn der Volljährige dies wünscht, oder wenn er durch eine oder mehrere natürliche Personen nicht hinreichend betreut werden kann. Die Bestellung bedarf der Einwilligung des Betreuungsvereins (§ 1818 Abs. 1 BGB). Es bestellt die Betreuungsbehörde zum Betreuer, wenn der Volljährige weder durch mehrere Personen noch durch einen Betreuungsverein hinreichend betreut werden kann (§ 1818 Abs. 4 und 5 BGB).
5. Pflichten des Betreuers und Wünsche des Betreuten
Der Betreuer hat den erforderlichen persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten, sich regelmäßig einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen und dessen Angelegenheiten mit ihm zu besprechen. Er hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, dass dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann. Hierzu hat der Betreuer die Wünsche des Betreuten festzustellen.
Den Wünschen des Betreuten hat der Betreuer nicht zu entsprechen, soweit
- die Person des Betreuten oder dessen Vermögen hierdurch erheblich gefährdet würde und der Betreute diese Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann oder
- dies dem Betreuer nicht zuzumuten ist.
Kann der Betreuer die Wünsche des Betreuten nicht feststellen oder darf er ihnen nicht entsprechen, hat er den mutmaßlichen Willen des Betreuten aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln und Geltung zu verschaffen. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. Bei der Feststellung des mutmaßlichen Willens soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden.
6. Auskunftspflicht gegenüber nahestehenden
Angehörigen
Der Betreuer hat nahestehenden Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten auf Verlangen Auskunft über dessen persönliche Lebensumstände zu erteilen, soweit dies einem zu beachtenden Wunsch oder dem mutmaßlichen Willen des Betreuten entspricht und dem Betreuer zuzumuten ist (§ 1822 BGB).
7. Vertretungsmacht des Betreuers
In seinem Aufgabenkreis kann der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 1823 BGB). Ausgeschlossen ist die Vertretung des Betreuten u. a. bei Rechtgeschäften mit dessen Ehegatten oder Verwandten in gerader Linie sowie bei Rechtsstreitigkeiten zwischen diesen Personen (§ 1824 BGB).
8. Einwilligungsvorbehalt
Die Geschäftsfähigkeit eines Volljährigen wird durch die Bestellung eines Betreuers nicht eingeschränkt. Jedoch kann das Betreuungsgericht anordnen, dass bestimmte rechtliche Erklärungen eines Betreuten nur mit Einwilligung des Betreuers wirksam sind, wenn der Betreute damit einverstanden ist (§ 1825 Abs. 1 BGB).
Ein derartiger Einwilligungsvorbehalt ist ausgeschlossen u. a. für Willenserklärungen, die auf Eingehung einer Ehe gerichtet sind, Verfügungen von Todes wegen sowie auf Anfechtung und Aufhebung eines Erbvertrags (§ 1825 Abs. 2 BGB).
9. Haftung des Betreuers
Der Betreuer haftet gegenüber dem Betreuten, wenn diesem infolge einer Pflichtverletzung ein Schaden entsteht. Er haftet aber nicht, wenn er nachweisen kann, dass er einen entstandenen Schaden nicht verschuldet hat.
Auch Eltern, Kinder und Ehegatten können zum Schadensersatz verpflichtet sein. Jedoch sind sie als ehrenamtliche Betreuer durch eine Sammelhaftpflichtversicherung des jeweiligen Bundeslandes haftpflichtversichert. Dadurch wird erreicht, dass Familienmitglieder kein finanzielles Risiko eingehen, wenn sie eine Betreuung übernehmen, und dass der Betreute keinen Schaden erleidet, wenn dem betreuenden Familienmitglied ein Versehen oder auch ein schwerwiegender Fehler unterläuft.
10. Besondere Vorschriften
Der Betreuer hat besondere gesetzliche Vorschriften zu beachten, wenn es um gesundheitliche Maßnahmen, freiheitsentziehende Eingriffe, persönliche Lebensgestaltung oder um Vermögensangelegenheiten geht:
- § 1827, 1828 Patientenverfügung; Einwilligungen in gesundheitliche Maßnahmen,
- § 1829 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei gefährlichen ärztlichen Maßnahmen,
- § 1830 Sterilisation,
- § 1831 Freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen,
- § 1832 Ärztliche Zwangsmaßnahmen,
- § 1833 Aufgabe von Wohnraum des Betreuten,
- § 1834 Bestimmung des Umgangs und des Aufenthalts des Betreuten,
- §§ 1835-1860 Vermögensangelegenheiten.
https://dserver.bundestag.de/btd/19/244/1924445.pdf