Auskunftspflicht des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem Sozialamt bei Heimunterbringung der Mutter
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.01.2015 - L 20 SO 12/14, BeckRS 2015, 66629
Die Mutter des Klägers leidet an einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung und ist in einem Altenzentrum untergebracht.
Der Beklagte trägt die nicht durch eigenes Einkommen (Witwenrente) und andere Sozialleistungen abgedeckten Heimpflegekosten sowie die Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen.
Mit Bescheid vom 28.08.2012 forderte er den Kläger zur Auskunftserteilung bezüglich seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf. Der Kläger gehöre zu deren unterhaltspflichtigen Verwandten. Unterhaltsansprüche gingen nach § 94 Absatz 1 SGB XII auf die Beklagte als Sozialhilfeträger über.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Seine Mutter habe ihn nicht unterhalten können, als er selbst unterhaltsberechtigt gewesen sei. Sie sei in zweiter Ehe verheiratet gewesen, seit dem 01.01.1979 sei sie verwitwet. Die daraufhin gewährte Witwenrente sei das erste Einkommen gewesen, das sie in ihrem Leben bezogen habe. Sie habe nie einen Beruf erlernt oder eine Tätigkeit ausgeübt und sei immer aufgrund ihrer Ehen unterhaltsberechtigt gewesen. Er habe seit seinem 14. Lebensjahr für sich selbst gesorgt; bis dahin habe sein Vater seinen Unterhalt bestritten. 1965 und 1966 sei die Hilfeempfängerin obdachlos gewesen. Er lehne deshalb jegliche Auskünfte und auch jeglichen Unterhalt ab.
Er teilte ergänzend mit, seine Mutter habe ihre Unterhaltspflicht gröblichst vernachlässigt. Seine Großmutter habe ihn unterhalten. Seine Mutter sei immer der Meinung gewesen, dass andere (so sein Vater) für ihren Lebensunterhalt zu sorgen hätten. Als weiteren Nachweis legte er ein Schreiben der Schwester der Mutter vor. Diese bestätigte darin, dass der Kläger sich seit seinem 14. Lebensjahr selbst versorgt habe und ihre Mutter, die Großmutter des Klägers, diesen bis 1969 während seiner Lehre bei sich untergebracht habe.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Klage des Klägers hatte bei dem Sozialgericht und bei dem Landessozialgericht keinen Erfolg:
- Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 117 Absatz 1 S. 1 SGB XII lagen vor. Die Beklagte war berechtigt, die vom Kläger erbetenen Auskünfte zu fordern.
- Der Kläger ist als potenziell unterhaltspflichtig gegenüber der Hilfeempfängerin - seiner Mutter - anzusehen, so dass er grundsätzlich zur Auskunftserteilung verpflichtet ist. Denn die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens setzt nicht voraus, dass der Hilfeempfängerin gegenüber ihrem Sohn ein Unterhaltsanspruch tatsächlich und nachweislich zusteht.
- Ein Auskunftsanspruch ist nur dann ausgeschlossen, wenn von vornherein, d. h. ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich ist, dass ein Unterhaltsanspruch nicht besteht.
- Es ist keineswegs gänzlich ausgeschlossen, dass der Kläger als Sohn der Hilfeempfängerin und damit als Verwandter in gerader Linie nach § BGB § 1601 BGB zum Unterhalt verpflichtet ist. Soweit der Kläger sinngemäß vorträgt, die Hilfeempfängerin habe ihren Unterhaltsanspruch ihm gegenüber jedenfalls verwirkt, weil sie ihn niemals finanziell unterhalten und sich ab seinem 14. Lebensjahr nicht mehr um ihn gekümmert habe, erscheint ein Unterhaltsanspruch allein aus diesem Grund jedenfalls nicht als offensichtlich ausgeschlossen.
- Die Prüfung eines solchen Anspruchs - einschließlich einer etwa notwendigen Beweiserhebung zu tatsächlichen Umständen - obliegt nach dem zuvor Gesagten allein den Zivilgerichten.
Anmerkung: Das Landessozialgericht macht deutlich, dass Klagen gegen den öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruch aus § 117 SGB XII in aller Regel keinen Erfolg haben. Den Klägern, die glauben, Unterhaltszahlungen durch Verweigerung der Auskunft vermeiden zu können, entstehen in den meisten Fällen nur zusätzliche Kosten; denn ihnen wird die Zahlung der Gerichtskosten auch dann auferlegt, wenn nicht sicher ist, ob eine Unterhaltspflicht besteht, weil die Verwaltungsgerichte die Prüfung der Unterhaltspflicht den Familiengerichten im Unterhaltsverfahren überlassen.
Die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber den Eltern entfällt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum § 1611 BGB nur in seltenen Ausnahmefällen:
Selbst ein vom Vater ausgehender Kontaktabbruch seit dem Abitur über mehrere Jahrzehnte stelle zwar regelmäßig eine Verfehlung dar, sei aber nur bei Vorliegen weiterer Umstände eine schwere Verfehlung, die zur Verwirkung des Elternunterhalts führe; denn der Vater habe sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert (Beschluss vom 12. Februar 2014 - XII ZB 607/12). Dagegen hat es eine schwere Verfehlung darin gesehen, dass eine Mutter ihr Kind im Alter von 1 bis 1 ½ Jahren in der Obhut der Großeltern zurückgelassen und dann keinen Anteil an seinem Leben und seiner Entwicklung genommen hat (BGH, Urteil vom 19.05.2004 - XII ZR 304/02, NJW 2004, 3109).