Aufhebungsvertrag: Verletzung des Gebots fairen Verhandelns bei Abschluss im Schlafzimmer der Arbeitnehmerin
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18
Die Klägerin war seit knapp einem Jahr bei der Beklagten als Reinigungshilfe beschäftigt. Ein Beauftragter des Arbeitgebers suchte die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig war, in ihrer Wohnung auf: Ihr Sohn ließ ihn eintreten und weckte die Klägerin, die in ihrem Bett lag. Der Beauftragte legte ihr einen Aufhebungsvertrag zur Unterschrift vor. Sie unterschrieb ihn und gibt dazu an, sie habe den Vertrag unter dem Einfluss von Schmerzmitteln "im Tran" unterschrieben und erst hinterher bemerkt, was sie gemacht habe.
Auf ihre Klage, die vom Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht abgewiesen worden war, hat das Bundesarbeitsgericht die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Es müsse noch geklärt werden, ob sich die Klägerin in einem erkennbar körperlich geschwächten Zustand befunden und ob der Beauftragte des Dienstgebers dies ausgenutzt hat. Es stellte fest:
- Ein Aufhebungsvertrag ist unwirksam, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist.
- Das Gebot fairen Verhandelns wird verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert oder unmöglich macht (Rn 34).
- Denkbar ist beispielsweise die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse (Rn 35).
- Auch die Nutzung eines Überraschungsmoments (Überrumpelung) kann die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen, beispielsweise das unangekündigte Aufsuchen des Mitarbeiters im Schlafzimmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags.
- Regelmäßig wird es einem Arbeitgeber bei einer Kurzerkrankung des Arbeitnehmers zumut-bar sein, dessen Genesung vor der Aufnahme von Beendigungsverhandlungen abzuwarten und ihn nicht unaufgefordert in der Wohnung mit einem Aufhebungsvertragsentwurf zu konfrontieren (Rn 46).
- Der unfair behandelte Vertragspartner ist so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen d. h. das Arbeitsverhältnis ist zu unveränderten Bedingungen fortzusetzen (Rn 37).
Anmerkung: Bisher konnten Arbeitnehmer, die einen Aufhebungsvertrag unterschrieben hatten, den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nur erreichen, wenn sie im arbeitsgerichtlichen Verfahren nachweisen konnten, dass der Arbeitgeber sie arglistig getäuscht oder bedroht hatte (§ 123 BGB).
Das Bundesarbeitsgericht leitet nun aus dem Gebot fairen Verhandelns ab, dass ein Aufhebungsvertrag auch unwirksam sein kann, wenn der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation ausnutzt oder wenn er den Arbeitnehmer überrascht bzw. überrumpelt und zur sofortigen Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag auffordert, der in der Regel eine zwölfwöchige Sperrfrist beim Arbeitslosengeld auslöst.
In der Urteilsbegründung ist das Gericht nicht darauf eingegangen, ob der Arbeitgeber während der Kurzerkrankung ohne wirksame (vorherige) Einwilligung das Schlafzimmer und die im Bett liegende Arbeitnehmerin aufsuchen durfte.
Das Bundesarbeitsgericht hat zwar anerkannt, dass ein Arbeitgeber auch während einer Arbeitsunfähigkeit den Arbeitnehmer beispielsweise über aktuell bevorstehende Änderungen des Arbeitsablaufs informieren darf und seine Meinung dazu einholen möchte. "Voraussetzung für solche Gespräche ist allerdings stets, dass sie nicht auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit aufschiebbar und dem Arbeitnehmer zumutbar sind."1
Das Betreten des Schlafzimmers könnte als Eindringen in die Privat- und Intimsphäre eine massive und strafbare Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Mitarbeiterin darstellen; denn nach § 42 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz kann die unberechtigte Verarbeitung nicht allgemein zugänglicher personenbezogener Daten zur Erlangung finanzieller Vorteile mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden. Ein Aufhebungsvertrag ist immer finanziell vorteilhaft für den Arbeitgeber: Er vermeidet die finanziellen Risiken einer Kündigung und u. a. die Entgeltzahlung während der Kündigungsfrist.
Fraglich ist deshalb, ob nicht ein Beweisverwertungsverbot im arbeitsgerichtlichen Verfahren besteht, weil die Unterschrift der Klägerin unter den Aufhebungsvertrag nur durch strafbares Verhalten erlangt werden konnte; denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts darf ein durch ungerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht erlangtes Beweismittel vom Gericht nicht berücksichtigt werden.2
1 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 02.11.2016 - 10 AZR 596/15, Rn 33.
2 Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2016 - 2 AZR 848/15 Rn 24 m. w. N.