Assistenzhund: Zutrittsrechte der Menschen mit Behinderung zu typischerweise allgemein zugänglichen Einrichtungen
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20. Januar 2020 entschieden, dass aus dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und der UN-Behindertentrechtskonvention das Recht von Menschen mit Behinderungen folge, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht von Betätigungen ausgeschlossen werden, die nichtbehinderten Menschen offenstehen, wenn nicht zwingende Gründe für einen solchen Ausschluss vorliegen. Eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung eines Menschen mit Behinderung liege deshalb vor, wenn einem Blinden verboten werde, das Wartezimmer einer Arztpraxis in Begleitung seines Blindenführhundes zu durchqueren, obwohl es keine andere zumutbare Möglichkeit gibt, zu einer Physiotherapiepraxis zu gelangen und die notwendige medizinische Behandlung zu erhalten.1
Der Bundesgesetzgeber hat aus diesem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot ein allgemeines Zutrittsrecht abgeleitet:
1. Zutrittsrecht der Menschen mit
Assistenzhund/Blindenführhund
Menschen mit Behinderungen haben in Begleitung durch ihren Assistenzhund das Recht auf Zutritt zu allen Einrichtungen und Bereichen, die typischerweise allgemein zugänglich sind (§ 12e Behindertengleichstellungsgesetz - BGG).
1.1 Assistenzhunde und andere Hunde
Ein Assistenzhund ist ein speziell ausgebildeter Hund, der aufgrund seiner Fähigkeiten und erlernten Assistenzleistungen dazu bestimmt ist, einem Menschen mit Behinderung/blinden Menschen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, zu erleichtern oder behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen (§ 12e BGG).
Als Assistenzhunde gelten auch Blindenführhunde. Für sonstige Assistenzhunde, wie Signal-, Diabetiker-, Epilepsie- oder Asthmawarnhunde gelten zwar unterschiedliche Kostenregelungen.2 Jedoch wird beispielweise der Mensch, dem wegen eines Epilepsiewarnhundes der Zugang zu einem typischerweise allgemein zugänglichen Restaurant verwehrt wird, in gleichem Maße benachteiligt wie ein Mensch mit einem speziell ausgebildeten Assistenzhund. Deshalb steht das Zutrittsrecht allgemein zu, wenn ohne Begleitung durch den Hund Zugang oder Aufenthalt unmöglich oder unzumutbar wären.
1.2 Typischerweise allgemein zugängliche Einrichtungen
Zu den allgemein zugänglichen Anlagen und Einrichtungen gehören u. a. Behörden, Freizeiteinrichtungen wie Kinos, Museen, Sport- und Parkanlagen, Einzelhandelsgeschäfte, Gaststätten, Hotels, Cafeterias, Arztpraxen und andere Praxen des Gesundheitswesens, offene Krankenhaus- und Pflegestationen, Beratungsstellen und andere offene soziale Einrichtungen.
1.3 Ausschluss des Zutrittsrechts
Kein Zutrittsrecht des Menschen mit Behinderung besteht, wenn der zur Duldung des Zutritts Verpflichtete durch den Zutritt mit dem Assistenzhund "unverhältnismäßig oder unbillig” belastet wird. Allgemein ausgeschlossen ist deshalb der Zutritt mit einem erregten oder ungepflegten, schmutzigen, inkontinenten, infizierten oder kranken Hund.
Generell ist die Tierhaltung auch in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes nicht verboten. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention hat für alle Hunde klargestellt, dass eine Übertragung von Krankheitserregern vom Hund auf den Menschen zwar theoretisch möglich, bei haushaltsüblicher Hygiene aber sehr unwahrscheinlich sei. Deshalb kann der Zutritt nur verweigert werden, wenn Infektions- und Gesundheitsgefahren für gesundheitlich vorbelastete Menschen nicht ausgeschlossen werden können z. B., wenn es um Risikobereiche wie z. B. Frührehabilitation, Hämatologie, Onkologie, Intensivstationen und Isolierstationen geht.3
2. Assistenz- und andere Hunde im Miet- und
Arbeitsrecht
Vermieter haben allgemein die Haltung eines Hundes in der Mietwohnung zu gestatten, wenn der Hund keinerlei Schäden verursacht und Mietnachbarn in keiner Weise belästigt werden (§ 535 Abs. 1 BGB).4
Arbeitgeber sind nur verpflichtet, einen Hund am Arbeitsplatz zuzulassen, wenn dadurch die Arbeitsleistung des Hundehalters und seiner Kollegen nicht beeinträchtigt, Eigentum des Arbeitgebers nicht gefährdet und auch sonstige Interessen nicht beeinträchtigt werden (§ 241 Abs. 2 BGB).
Stört ein Hund durch Bellen oder aggressives Verhalten die Arbeitsabläufe, haben Kollegen Hundeallergien oder Hundephobien oder ist die Einhaltung des gesetzlichen Tierschutzes nicht möglich, kann der Aufenthalt des Hundes am Arbeitsplatz unzumutbar sein.
1 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30.01.2020 - 2 BvR 1005/18, Rn 41ff.
2 https://dserver.bundestag.de/btd/19/283/1928395.pdf, Seite 8
3 www.krankenhaushygiene.de/informationen/fachinformationen/empfehlungen-der-dgkh/640
4 Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.03.2013 - VIII 168/12, Rn 18ff.;
Amtsgericht Köln, Urteil vom 07.07.2021 - 210 C 208/20, Rn 22ff.