Angehörigen-Entlastungsgesetz 2020: Entlastung von unterhaltspflichtigen Abgehörigen
Bisher konnten Sozialhilfeträger die Unterhaltsansprüche pflegebedürftiger bzw. behinderter Menschen auf sich überleiten und geltend machen, wenn die Betroffenen die Kosten der Pflege bzw. Eingliederungshilfe nicht selbst aufbringen können.
Einkommensgrenze für den Rückgriff bei Pflegebedürftigkeit der Eltern
Sozialhilfeträger dürfen seit dem 1. Januar 2020 auf das Einkommen unterhaltspflichtiger Kinder und Eltern erst dann zurückgreifen, wenn deren jährliches Gesamteinkommen 100.000 Euro übersteigt (§ 94 Abs. 1a SGB XII; § 16 SGB IV).
Die Einkommensgrenze von 100.000 Euro, die bisher schon für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung galt, gilt nun für alle Leistungen nach dem SGB XII, u. a. die Hilfe zur Pflege, zum Lebensunterhalt für Volljährige oder die Blindenhilfe.1
Eine Ausnahme bilden nur unterhaltsverpflichtete Eltern minderjähriger Leistungsbezieher, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erhalten.
Zum jährlichen Gesamteinkommen der unterhaltspflichtigen Kinder und Eltern gehören insbesondere: Arbeitsentgelt (Bruttolohn abzüglich Werbungkosten), Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit, Renten und Ruhegehalt, Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung oder Kapitalvermögen.
Einkommen von Schwiegerkindern und vorhandenes Vermögen wird bei der Einkommensberechnung nicht berücksichtigt.
Sind mehrere Verwandte unterhaltspflichtig, haften sie prozentual anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen.
Beispiel: Hat von drei Geschwistern nur eines ein Gesamteinkommen von mehr als 100.000 Euro, hat es ein Drittel des Unterhaltsbedarfs zu decken.
Ausschluss des Rückgriffs auf Kinder behinderter, aber nicht pflegebedürftiger Eltern, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten
Im Bundesteilhabegesetz ist geregelt, dass Eltern von volljährigen behinderten Kindern, die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX und Leistungen nach dem SGB XII wie Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt oder Hilfe zur Pflege beziehen, für diese SGB XII-Leistungen ab Januar 2020 nur noch einen Unterhaltsbeitrag von 26,49 Euro bzw. 34,44 Euro zahlen müssen, wenn ihr Jahreseinkommen jeweils über 100.000 Euro liegt (§ 94 Abs. 1a und Abs. 2 SGB XII).
Eingeschränkte behördliche Überprüfung des Einkommens
Sozialhilfeträger dürfen nur dann eine Überprüfung des Einkommens der Unterhaltspflichtigen durchführen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze bestehen (§ 43 Abs. 1a Satz 5; § 117 SGB XII). In diesen Fällen können sie beispielsweise die Vorlage des letzten Steuerbescheids verlangen.
Die pflegebedürftigen Elternteile müssen nach wie vor ihre Bedürftigkeit nachweisen.
Vermögensschonbetrag der pflegebedürftigen Eltern
Bei jedem Elternteil werden 5.000 Euro vor einer Heranziehung durch den Sozialhilfeträger geschützt (Allgemeiner Vermögensschonbetrag: § 90 SGB XII; § 1 Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch).
Einstellung von bisherigen Zahlungen
Unterhaltspflichtige Kinder bzw. Eltern, die bisher ohne Einschaltung des Sozialamtes die durch das Einkommen der Pflegebedürftigen und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckten Pflegekosten übernommen haben, können diese freiwilligen Zahlungen einstellen.
In diesem Falle muss beim örtlichen Sozialamt umgehend ein Antrag auf "Hilfe zur Pflege" von der pflegebedürftigen Mutter/dem pflegebedürftigen Vater gestellt werden bzw. mit deren Vollmacht von einem Kind oder einer anderen Person.
Auswirkung der Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger
Die gesetzliche Neuregelung wird häufiger als bisher dazu führen, dass pflegebedürftige Menschen den Aufenthalt in einem Heim wählen.
Ihnen steht insoweit ein Wunsch- und Wahlrecht zu (§ 9 SGB XII). Sie können frei wählen zwischen allen Einrichtungen, mit denen der Sozialhilfeträger verbindliche Pflegesatz- bzw. Vergütungsvereinbarungen und wirksame Vereinbarungen über gesondert berechenbare Investitionskosten abgeschlossen hat.2
Wünscht die/der Pflegebedürftige die Unterbringung in einem anderen Heim, sollte vorher abgeklärt werden, ob und inwieweit der Sozialhilfeträger Kosten übernehmen wird; denn in diesem Fall kann er die Übernahme der Kosten auf den Betrag beschränken, den er mit anderen Leistungserbringern für vergleichbare Leistungen vereinbart hat.
1 BT-Drs. 19/13399, S. 3.
2 Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2018 - B 8 SO 30/16, Rn 20.