Alkoholabhängigkeit: Geschlossene Unterbringung und langfristige geschlossene Unterbringung
Geschlossene Unterbringung
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2016 - XII ZB 317/15
Die alkoholabhängige Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung durch das Landgericht. Dieses hatte die vom Amtsgericht erteilte Genehmigung der zivilrechtlichen geschlossenen Unterbringung der Betroffenen für die Dauer eines Jahres bestätigt.
In den Jahren davor waren mehrere ambulante psychiatrische und suchttherapeutische Therapien erfolglos durchgeführt worden. Die Betroffene war aufgrund akuter Alkoholintoxikationen in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 dreimal - jeweils mit gerichtlicher Genehmigung geschlossen und über längere Zeiträume - stationär behandelt worden. Nach ihrer Entlassung Ende Dezember 2014 wurde sie bereits am 8. Januar 2015 erneut schwerst alkoholintoxikiert mit einem Promillewert von rund 4,6 in die Klinik eingeliefert.
Darauf hatte der Betreuer, der für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Entscheidung über die Unterbringung bestellt war, die zivilrechtliche geschlossene Unterbringung beantragt.
Das Landgericht hat auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens sowie der persönlichen Anhörung festgestellt, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese bestehe bei einer hochgradigen Alkoholabhängigkeit in gravierenden Folgeschäden im Bereich des zentralen Nervensystems, nämlich einer äthyltoxisch bedingten Neuropathie und einem äthyltoxisch bedingten Kleinhirnschaden mit Einschränkungen von Auffassungsgabe, Konzentrations- und Merkfähigkeit.
Es hat weiter festgestellt, dass bei der Betroffenen ohne eine Unterbringung krankheitsbedingt ein alsbaldiger Rückfall zu erwarten ist, durch den sich die Erkrankung vollständig demenziell im Sinne eines Korsakow-Syndroms entwickeln und damit ein erheblicher Gesundheitsschaden eintreten würde. Die Betroffene würde außerhalb der geschlossenen Station in lebensbedrohliche Zustände geraten, wenn sie die Nahrungsaufnahme einstellt und unkontrolliert exzessiv Alkohol konsumiert.
Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerde der Betroffenen zurückgewiesen:
- Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
- Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen.
- Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden. Jedoch endet dieses Selbstbestimmungsrecht, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, sich frei zu entschließen, insbesondere wenn es an einer Krankheitseinsicht fehlt; denn ohne eine solche ist eine freie Willensbestimmung mit Blick auf die Unterbringung nicht möglich.
- Der Betroffene kann aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht mehr frei bestimmen, wenn der Alkoholmissbrauch entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß einer geistigen Erkrankung erreicht hat.
- Die geschlossene Unterbringung kann zur Vermeidung einer erheblichen Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht und ohne die Unterbringung eine unmittelbare Rückfallgefahr besteht.
- Die geschlossene Unterbringung ist aber nur dann verhältnismäßig, wenn ambulante Hilfsmöglichkeiten nicht vorhanden bzw. gescheitert sind.
Langfristige geschlossene Unterbringung
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2015 - XII ZA 12/15
- Leidet eine unter Betreuung stehende Person unter einer langjährigen, schweren Alkoholkrankheit mit einem einhergehenden amnestischen Syndrom (”Korsakow-Syndrom”) mit ernsthaft geäußerter Suizidabsicht, kann der Suchtkranke, um weitere erwartbare und lebensgefährliche Trinkepisoden zu vermeiden, auch langfristig, gegebenenfalls auf unabsehbare Zeit zu seinem Schutz geschlossen untergebracht werden (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
- In diesem Fall liegt kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor.
Anmerkung: Die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll (§ 1906 Abs. 4 BGB).