Schwerte/Düsseldorf - Die Caritas in NRW fordert mehr präventive Unterstützung und frühe Hilfen für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern. "Nur durch frühe und leicht annehmbare Hilfen für Eltern lassen sich Risikofaktoren für negative Entwicklungen bis hin zur Kindeswohlgefährdung verringern", sagte der münstersche Diözesan-Caritasdirektor Heinz-Josef Kessmann auf einer Fachtagung in Schwerte.
Die Caritas sei besorgt über die Zahl kleiner Kinder unter sechs Jahren, die von den Jugendämtern in Obhut genommen und in den Einrichtungen der Erziehungshilfe betreut würden. Hinter den steigenden Fallzahlen gerade sehr kleiner Kinder "verbergen sich häufig gravierende Probleme und Überforderungen in den Familien bisher nicht bekannten Ausmaßes", warnte Kessmann.
Zu registrieren seien wachsende Gruppen "hochbelasteter Familien". Ihnen fehlten die notwendigen Ressourcen zur angemessenen Unterstützung und Förderung ihrer Kinder. "Kinder aus diesen Familien haben weniger Freunde und seltener Eltern, die sich wirklich um sie kümmern, und sie leben in Wohnungen, die eng und laut sind", sagte Kessmann.
Der Diözesan-Caritasdirektor wies darauf hin, dass Eltern, die ohne Unterstützung von außen nicht mehr in der Lage sind, ihren Kindern eine angemessene Förderung und ausreichende Versorgung zukommen zu lassen, einen individuellen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung haben. Die Jugendämter müssten solche Hilfen für die Eltern veranlassen, bevor die Situation in einer Familie eskaliere und das Kindeswohl gefährdet sei.
Weiterhin skeptisch ist die Caritas gegenüber dem von der Bundesregierung angekündigten Kinderschutzgesetz. Die Jugendämter bräuchten nicht mehr Eingriffsrechte und Kontrollpflichten, sondern mehr Personal, das fachlich gut ausgebildet sei. "Es kann nicht darum gehen, Eltern in ihrer Erziehungsfähigkeit zu überprüfen und zu bevormunden, sondern man muss sie in ihrer Erziehungskompetenz stärken und frühzeitig unterstützen", betonte Kessmann.
Besorgniserregend sei jedoch oft die Überlastungssituation der Mitarbeiter in vielen Jugendämtern. Ein besserer Personalschlüssel und unterstützende und weiterbildende Maßnahmen für die Fachkräfte in den Jugendämtern seien oftmals angezeigt. Gerade bei hilfsbedürftigen Eltern von sehr kleinen Kindern sei nämlich beispielsweise verstärkte Elternarbeit notwendig. "Es geht hier darum, den Dienstleistungscharakter der Jugendhilfe deutlich zu machen, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen und sie vom Nutzen frühzeitiger Hilfsangebote zu überzeugen", unterstrich Kessmann.
Bundesweit wurden 2008 laut Statistischem Bundesamt 32 200 Kinder und Jugendliche von den Jugendämtern aus den Familien heraus in Obhut genommen. Das sind rund 4100 mehr als 2007 (Steigerung von 14,4 Prozent). Gegenüber 2005 beträgt die Steigerung 26 Prozent. Etwa 17 Prozent der in Obhut genommenen Kinder sind unter sechs Jahre alt. Die steigenden Fallzahlen lassen sich nicht nur auf eine höhere Sensibilität der Öffentlichkeit ("Fall Kevin") und die Schärfung der Wahrnehmung der Fachkräfte für mögliche Kindeswohlgefährdungen zurückführen, sondern deuten nach Auffassung der Caritas auf Familienprobleme in bisher nicht gekanntem Ausmaß.
In Nordrhein-Westfalen wurden 2008 insgesamt 9347 Minderjährige in Obhut genommen. Davon waren 1185 (12,7 Prozent) unter sechs Jahre alt.
Die Ausfühliche Dokumentation der Fachtagung finden Sie hier.