Mit Bollerwagen und Respekt
Ivan C. (32) engagiert sich beim youngcaritas-Projekt "Warm durch die Nacht" in Dortmund.© Markus Jonas
Einer der Engagierten ist der 32-jährige Ivan C. "Mich motiviert, dass ich mit Menschen reden kann, die wirklich in Not sind. Die brauchen auch jemanden, mit dem sie reden können", sagt er. C. stammt aus Ecuador, hat Architektur studiert und arbeitet in einem Architekturbüro. "Die Liebe hat mich nach Deutschland geführt", sagt er und lächelt. Seit zehn Jahren lebt er schon mit seiner deutschen Frau in Dortmund. Seit April 2024 engagiert er sich bei "Warm durch die Nacht", ist zwei- bis dreimal im Monat mit dabei, wenn es auf eine Runde zu den in der Innenstadt lagernden Obdachlosen geht.
"Die meisten freuen sich, uns zu sehen", erzählt C. "Oft geht es ihnen nicht nur um das Essen oder den Kaffee, sondern auch darum, mit uns zu reden. Manche erzählen ihre Geschichte, und ich bleibe dann gerne etwas länger, höre zu und stelle Fragen." Genau das sei auch der Sinn des Projektes, erklärt Kristina Sobiech, die das Ehrenamtsprojekt seitens der youngcaritas Dortmund koordiniert. "Unsere Hauptaufgabe ist nicht, die Obdachlosen satt zu machen, sondern ihnen durch Gespräche und Aufmerksamkeit zu zeigen, dass sie gesehen werden." Und nebenbei sollen die überwiegend jungen Freiwilligen erfahren, dass sie mit ihrem Engagement etwas bewirken können.
Die Ehrenamtlichen der youngcaritas haben Kaffee, Schokolade und Brötchen im Gepäck. Sie besuchen mit einem Bollerwagen in der Dortmunder Innenstadt Menschen, die auf der Straße leben.© Markus Jonas
"Am Anfang war es schwierig, ein Gespräch zu führen", bekennt Ivan C. "Ich hatte Angst, dass ich vielleicht was Falsches sage, was die Menschen verärgert. Aber es ist tatsächlich alles gut gelaufen." Ihm ist es wichtig, regelmäßig dabei zu sein, wenn gewöhnlich zwei Teams mit jeweils vier oder fünf Leuten und Bollerwagen losziehen. "Mir persönlich gibt es viel, Essen und Getränke zu verteilen und dabei in Gespräche zu kommen", sagt C. Es sei ein Geben und Nehmen: "Ich bekomme durch diese Begegnungen Einsichten, die mir zeigen, welche Lebenswege schwierig sein können und warum es wichtig ist, den geraden Weg zu gehen. Auch wenn oft gesagt wird, man müsse Fehler selbst machen, um daraus zu lernen - von den Erlebnissen und Erfahrungen anderer Menschen kann man ebenfalls viel mitnehmen."
Übergriffe gegen Obdachlose
Besonders erschüttert hat ihn eine Begegnung mit einem Mann, der weinend auf der Straße saß. "Das hat mich wirklich tief bewegt. Er erzählte uns, dass er von Jugendlichen geschlagen und ausgeraubt wurde. Die haben eigentlich alles und machen sich einen Spaß daraus, Leute zu schlagen, die obdachlos sind. Das ist wirklich heftig." Immer wieder komme es zu Übergriffen gegen Obdachlose in Dortmund, bestätigt auch Kristina Sobiech, so wie im Frühjahr 2024, als die Habseligkeiten einer älteren obdachlosen Frau angezündet wurden, die sie auch selbst von ihren Runden durch die Innenstadt kennt. "Sie hätte auch in ihrem Schlafsack liegen können. Das war versuchter Mord."
Ivan C. möchte Menschen, die auf der Straße leben, Respekt zeigen. Er kommt gern mit ihnen ins Gespräch.© Markus Jonas
Die Reaktionen der Passantinnen und Passanten in der Fußgängerzone sind überwiegend positiv. "Viele schauen uns interessiert zu, wenn wir mit den Obdachlosen reden und ihnen Kaffee oder Brötchen geben", sagt C. "Manche fragen auch nach, was wir tun. Es kommt vor, dass jemand dann ebenfalls helfen möchte." Hin und wieder wird den Helferinnen und Helfern auch eine Spende in die Hand gedrückt, was durchaus willkommen ist. Denn Kaffee, Brötchen, Schokolade oder auch Schlafsäcke werden über Spenden finanziert. Kristina Sobiech erinnert sich an einen besonderen Moment: "Ein Mann kam spontan auf uns zu und zog einen 200-Euro-Schein aus seinem Portemonnaie, um das Projekt zu unterstützen. Es ist schön zu sehen, dass die Arbeit auch Außenstehende berührt."
"Nächstenliebe zu zeigen ist richtig"
Viele der rund 90 Freiwilligen, die sich bei den Touren engagieren, haben wie Ivan C. einen Migrationshintergrund und identifizieren sich mit den schwierigen Lebensumständen der Menschen, denen sie begegnen. C. sieht, dass Armut sowohl in seiner alten wie auch seiner neuen Heimat präsent ist, wenn auch in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen. Während in Ecuador oft strukturelle Probleme wie Korruption und fehlende Chancen vorherrschten, sei es in Deutschland manchmal die soziale Ungleichheit, die Menschen an den Rand der Gesellschaft dränge. Seine Eltern in Ecuador unterstützen sein Engagement und sind stolz darauf, dass er sich für obdachlose Menschen in Deutschland einsetzt. "Sie sagen, das ist gut für die Seele", erzählt er.
Neben dem sozialen Engagement freut sich C. auch über die Gelegenheit, sein Deutsch zu verbessern. "Die meisten, die auf der Straße leben, sind Deutsch-Muttersprachler mit unterschiedlichen Dialekten. Da kann ich viel lernen." Auch den Kontakt zu vielen anderen Migrantinnen und Migranten, die in Dortmund leben, schätzt er sehr. "Das finde ich sehr bereichernd. Es ist schön, andere Mentalitäten, Sichtweisen und Meinungen kennenzulernen." Denn: "Für mich ist jeder Mensch gleichwertig und verdient Respekt, unabhängig davon, ob er Geld oder einen Titel hat. Man sollte sich anderen gegenüber so verhalten, wie man auch selbst behandelt werden möchte. Es ist einfach das Richtige, Nächstenliebe zu zeigen."
Das Projekt "Warm durch die Nacht"
… von youngcaritas Dortmund wurde 2018 im Rahmen der damaligen Caritas-Jahreskampagne "Jeder Mensch braucht ein Zuhause" ins Leben gerufen und ist seitdem durchgehend aktiv. Freiwillige, überwiegend junge Menschen, besuchen zwei- bis dreimal im Monat Obdachlose in der Dortmunder Innenstadt, um ihnen Kaffee, Snacks und Aufmerksamkeit zu schenken. Ziel ist es weniger, die materielle Not zu lindern, als durch Gespräche Nähe und Wertschätzung zu vermitteln. Die Gruppe zählt aktuell rund 90 Freiwillige, die regelmäßig in wechselnder Besetzung teilnehmen. Initiatorin Kristina Sobiech sieht das Engagement junger Leute als Chance zur Entwicklung sozialer Kompetenzen und als
Einstieg in soziale Berufe.