CORONA–Erkrankung ist Arbeitsunfall oder Berufskrankheit!
Mitarbeiter*innen in medizinischen und in sozialen Einrichtungen sind in höchsten Maße von der Pandemie betroffen. Mitte Dezember 2020 waren der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bereits ca 25.000 Verdachtsfälle angezeigt und davon ca 17.000 Arbeitsunfälle bzw. Berufserkrankungen anerkannt worden.[1]
In zahlreichen wissenschaftlichen Studien ist festgestellt worden, dass auch nach einer symptomlosen bzw. scheinbar ausgeheilten Covid-19-Erkrankung Langzeitfolgen in Form von Organschäden und psychischen Belastungen eintreten.
"Corona schädigt auch bei milden Verläufen"
"Langzeitschäden betreffen einen großen Teil der Infizierten".
"Von den mehr als 95.000 Patienten, die in England im Krankenhaus behandelt wurden, müsste nach Einschätzung der Gesundheitsbehörden fast die Hälfte auch nach der Entlassung begleitet werden, etwa mit Reha-Maßnahmen."[2]
In jedem Fall einer Corona-Erkrankung geht es deshalb für die Betroffenen nicht nur um die medizinische Akutversorgung. Eine bestmögliche medizinische und sozialen Absicherung durch die gesetzliche Unfallversicherung für den Fall, dass Dauerschäden eintreten, wird sich häufig aber nur erreichen lassen, wenn bereits die Ersterkrankung von der Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit anerkannt worden ist.
1. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung sieht für Mitarbeiter im Arbeitsverhältnis, die einen Arbeitsunfall erleiden bzw. an einer Berufskrankheit erkranken, medizinische, Geld- und - im Fall einer dauerhaften Erwerbsminderung - Rentenleistungen vor. Den Erkrankten stehen die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu, die über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen.
Die zuständige Berufsgenossenschaft hat dem Verletzten nach den gesetzlichen Regelungen in §§ 26ff. SGB VII folgende Sozialleistungen zu gewähren:
- Heilbehandlung, Heilmittel, Hilfsmittel
- Leistungen zur medizinischen und sozialen Rehabilitation,
- Kraftfahrzeughilfe, Wohnungshilfe, Haushaltshilfe,
- Pflegegeld,
- Verletztengeld bei Wiedererkrankung,
- Verletztenrenten,
- Sterbegeld,
- Witwen/Witwer-, Waisen- und Elternrenten.
Auch für ehrenamtlich im Bereich der Wohlfahrtspflege Tätige, Kinder in Kindestagesstätten und Schüler kann eine COVID-19-Erkrankung als Berufskrankheit oder als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt werden.
Die Berufsgenossenschaften werden später Leistungen nur bewilligen, wenn sie die COVID-19 Erkrankung als Berufskrankheit bzw. Arbeitsunfall anerkannt haben. Deshalb müssen Dienstgeber und Mitarbeiter*innen zur Sicherung der Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung das vorgeschriebene Verfahren einhalten.
1 Verhalten im Verdachtsfall
Fieber, trockener Husten, Atembeschwerden, Kopf- und Gliederschmerzen und Schüttelfrost können Anzeichen für eine Infektion mit dem Coronavirus sein. Mitarbeiter mit entsprechenden Symptomen sind verpflichtet, den Dienstgeber darüber zu informieren.
Treten diese Symptome während der Arbeit auf, hat der Dienstgeber den Mitarbeiter aufzufordern, die Einrichtung umgehend zu verlassen bzw. und sich unverzüglich telefonisch zur Abklärung an den Hausarzt/behandelnden Arzt oder das Gesundheitsamt wenden.
Der Arzt untersucht den Mitarbeiter und stellt gegebenenfalls eine Krankschreibung aus. Bis zur ärztlichen Abklärung des Verdachts ist von Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten auszugehen.[3]
Wird durch einen Test bei einem Mitarbeiter ohne Erkrankungs-Symptome festgestellt, dass er infiziert ist und andere Menschen anstecken kann, ist er nicht arbeitsunfähig. Der Dienstgeber kann ihm - falls zumutbar - Arbeit im Home-Office oder auf andere Art ermöglichen. Ist dies nicht möglich und verbietet das Gesundheitsamt ihm die Ausübung der bisherigen Tätigkeit, hat er Anspruch auf Entschädigung (§ 56 Abs. 1, 2 und 3IfsG). Die Entschädigung zahlt ihm der Dienstgeber, der vom Gesundheitsamt volle Erstattung verlangen kann (§ 56 Abs. 5 IfsG).
2 Anzeigepflichten des Dienstgebers
Binnen drei Tagen nach Kenntniserlangung hat der Dienstgeber der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) anzuzeigen, dass
- ein Arbeitsunfall eines Mitarbeiters eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Kalendertagen zur Folge hat (§ 193 Abs. 1 SGB VII).
Beispiel:
- im Einzelfall Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Berufskrankheit gegeben sind (§ 193 Abs. 2 SGB VII):
Der Dienstgeber verwendet für die Anzeige die Online-Formulare der BGW.
Falls sich die Anzeige auf einen Mitarbeiter im Arbeitsverhältnis bezieht, ist sie von der Mitarbeitervertretung mit zu unterzeichnen. In der Anzeige ist anzugeben, welches Mitglied der betrieblichen Interessenvertretung (Mitarbeitervertretung) vor dem Absenden Kenntnis genommen hat. Außerdem muss der Dienstgeber die Sicherheitsfachkraft und den Betriebsarzt oder die Betriebsärztin über die Unfallanzeige informieren (§ 193 Abs. 5 SGB VII)
Mitarbeiter, für die eine Anzeige erstattet wird, sind darüber hinaus auf ihr Recht hinzuweisen, eine Kopie der Anzeige verlangen zu können (§ 14 Abs. 5 KDG).
Falls der Dienstgeber den Verdacht der BGW nicht anzeigt, kann der Mitarbeiter die Anzeige selbst erstatten bzw. mit der BGW Kontakt aufnehmen, damit diese den Dienstgeber auf seine Pflicht hinweist.
3 Anzeigepflichten des Arztes
Der den Mitarbeiter behandelnde Arzt ist verpflichtet, den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an die BGW zu melden (§§ 202, 203 SGB VII)).Ein begründeter Verdacht liegt vor, wenn die Krankheitserscheinungen mit den persönlichen Arbeitsbedingungen in einem Zusammenhang stehen können. Ob dieser Zusammenhang besteht, soll der Arzt durch eine Arbeitsanamnese prüfen.
Bei Bestätigung der Infektion durch ein positives Testergebnis meldet der Arzt das Ergebnis an das Gesundheitsamt.
4 COVID-19 als Berufskrankheit
Für Personen, die infolge ihrer Tätigkeit
- im Gesundheitsdienst,
- in der Wohlfahrtspflege oder
- in einem Labor mit dem Coronavirus SARS-CoV-2
der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt waren, wird die COVID-19-Erkrankung in aller Regel als Berufskrankheit anerkannt (Nr. 3001 der BK-Liste der anerkannten Berufskrankheiten: Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung). Nur wenn Anhaltspunkte festgestellt werden, dass die Infektion nicht im Rahmen der beruflichen Tätigkeit erfolgte, kann die Anerkennung versagt werden (§ 8 Abs. 3 SGB VII).
Weitere Branchen könnten einbezogen werden. Jedoch sind die Bewertungsprozesse noch nicht abgeschlossen.[4]
Zu ihren Gunsten wird vermutet, dass die Erkrankung infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist, wenn keine Anhaltspunkte für eine sonstige Verursachung beispielsweise in der Familie, der Freizeitbetätigung usw. vorliegen (§ 8 Abs. 3 SGB VII). Für die Anerkennung als Berufskrankheit genügt regelmäßig der Nachweis der Tätigkeit in einem besonders gefährlichen Arbeitsbereich.
Zum Gesundheitsdienst zählen z.B. Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, Physiotherapieeinrichtungen, Krankentransporte, Rettungsdienste oder Pflegedienstleistungen.
Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sind ua Einrichtungen der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie zur Hilfe für behinderte oder psychisch erkrankte Menschen oder Menschen in besonderen sozialen Situationen (z.B. Drogenberatung, Hilfen für Wohnungslose).
Außer Laboratorien werden auch Einrichtungen mit besonderen Infektionsgefahren erfasst, soweit die dort Tätigen mit Kranken in Berührung kommen oder mit Stoffen umgehen, die kranken Menschen zu Untersuchungszwecken entnommen wurden.
Eine Anerkennung als Berufskrankheit setzt weiterhin voraus, dass nach einer Infektion mindestens geringfügige dauerhafte klinische Symptome auftreten. [5] Treten erst später Gesundheitsschäden auf, die als Folge der Infektion anzusehen sind, kann eine Berufskrankheit ab diesem Zeitpunkt anerkannt werden.
5 COVID-19 als Arbeitsunfall
Ein Arbeitsunfall ist anzunehmen, wenn sich ein Mitarbeiter mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 infiziert, der eine Tätigkeit ausübt, die nicht in der Liste der anerkannten Berufskrankheiten genannt ist. Im Unterschied zur Berufskrankheit wird ein Arbeitsunfall aber von der BGW nur anerkannt, wenn
- der Betroffene nachweist, dass im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person ("Indexperson") stattgefunden hat.
- spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt die Erkrankung eingetreten bzw. der Nachweis der Ansteckung erfolgt ist.[6]
Beispiel: Ein Koch hat in einem längeren Gespräch mit einem - wie sich später herausstellt - coronakranken Krankenpfleger sich selbst infiziert.
- Ønach Würdigung aller Umstände und der herrschenden medizinischen Lehrmeinungmehr für als dagegen spricht, dass der Mitarbeiter sich im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit infiziert hat ("hinreichende Wahrscheinlichkeit").[7] Ein Vollbeweis ist nicht erforderlich.
Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel vom 20. August 2020 geht von einer Kontaktdauer von mindestens 15 Minuten bei einer räumlichen Entfernung von weniger als eineinhalb bis zwei Metern aus. Im Einzelfall kann auch ein zeitlich kürzerer Kontakt ausreichen, wenn es sich um eine besonders intensive Begegnung gehandelt hat. Umgekehrt kann dies für einen längeren Kontakt gelten, obwohl der Mindestabstand eingehalten wurde.
Lässt sich kein intensiver Kontakt zu einer Indexperson feststellen, kann es im Einzelfall aber ausreichen, wenn es im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld (z.B. innerhalb eines Betriebs oder Schule) der betroffenen Person nachweislich eine größere Anzahl von infektiösen Personen gegeben hat und konkrete, die Infektion begünstigende Bedingungen bei der versicherten Tätigkeit vorgelegen haben. Dabei spielen Aspekte wie Anzahl der nachweislich infektiösen Personen im engeren Tätigkeitsumfeld, Anzahl der üblichen Personenkontakte, geringe Infektionszahlen außerhalb des versicherten Umfeldes, räumliche Gegebenheiten wie Belüftungssituation und Temperatur eine entscheidende Rolle.
Hat der Kontakt mit einer Indexperson auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Heimweg stattgefunden und ist in der Folge eine COVID-19-Erkrankung aufgetreten, kann unter den aufgeführten Bedingungen ebenfalls ein Arbeitsunfall vorliegen. Insbesondere ist hier an vom Unternehmen organisierte Gruppenbeförderung oder Fahrgemeinschaften von Versicherten zu denken.
In eng begrenzten Ausnahmefällen kann auch eine Infektion in Kantinen als Arbeitsunfall anerkannt werden. Grundsätzlich ist der Aufenthalt dort als eigenwirtschaftlich und mithin nicht versichert anzusehen. Ist die Essenseinnahme in einer Kantine jedoch aus betrieblichen Gründen zwingend erforderlich oder unvermeidlich und befördern die Gegebenheiten (z.B. Raumgröße und -höhe, Lüftung, Abstandsmöglichkeiten) eine Infektion mit SARS-CoV-2, kann ausnahmsweise Versicherungsschutz bestehen.
Ähnliches gilt für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Nur wenn diese Art der Unterbringung Teil des unternehmerischen, wirtschaftlichen Konzeptes ist und sich daraus eine besondere Infektionsgefahr ergibt, kommt eine Anerkennung als Arbeitsunfall überhaupt in Frage. Die Infektionsgefahr muss dabei über das übliche Maß hinausgehen und durch die Eigenheiten der Unterkunft (z.B. Mehrbettzimmer, Gemeinschaftswaschräume und -küchen, Lüftungsverhältnisse) begünstigt werden.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls ist aber stets zu berücksichtigen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt Kontakt zu anderen Indexpersonen in nicht versicherten Lebensbereichen (z.B. Familie, Freizeit oder Urlaub) bestanden hat.
Im Ergebnis ist in jedem Einzelfall eine Abwägung erforderlich, bei der alle Aspekte, die für oder gegen eine Verursachung der COVID-19-Erkrankung durch die versicherte Tätigkeit sprechen, zu berücksichtigen sind. Nur die Infektion, die überwiegend wahrscheinlich infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten ist, erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles.
[1] BT-Drs. 19/24982 Antwort der Bundesregierung: Hochrechnung der Zahlen vom 20.11.2020
[2] Zusammenfassende Darstellung: https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/langzeitschaeden-von-covid-19-was-wir-wissen-und-was-nicht/
[3] Abschn. 13 des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard, und Faltblatt der DGUV "Coronavirus SARS-CoV-2-- Verdachts- und Erkrankungsfälle im Betrieb."
Coronavirus SARS-CoV-2-- Verdachts- und Erkrankungsfälle im Betrieb"
RS-CoV-2-- Verdachts- und Erkrankungsfälle im Betrieb"
[4] Antwort der Bundesregierung in BT-Drs. 19/24982, Seite 7.
[5] BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R.
[6] https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_arbeitsunfall/index.jsp
[7] BSG, Urteil vom 9. 5. 2006 - B 2 U 1/05 R, Rn 20.